Mindelo

10. Februar 2015
von Steffi
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Mindelo

Ich starre auf die schwarze Hand – Ist sie leer? Soll ich sie füllen? Ich sehe etwas glänzen, es könnte ein Ring sein. Oder Schweiß. Der Rhythmus der Trommeln zwingt förmlich zum Tanzen. Der Mann vor mir glänzt in seiner Schwärze in der dunklen Nacht. Schwarze Muskeln, nackter Oberkörper. Ohrgehänge und Bastrock. Weiß glänzen seine Augen, die mich selbstbewusst und stolz anblicken. Er bettelt nicht. Er fordert seinen Anteil.
Ich verstehe ihn nicht, ich will ihn nicht verstehen. Zu sehr fasziniert mich seine Authentizität.

Wir sind in Afrika. Oder im Karneval.

Irgendwie verwirrt mich der Typ und die anderen schwarzen, tanzenden Bastrockträger: Verkleiden sie sich als Eingeborene? Ist das ihre Tracht, ihr Dirndl? Würdigen sie so ihre Vorfahren, ihre Herkunft? Oder geht es nur um den Spaß?

Da passt etwas nicht in mein geordnetes Weltbild – und das ist gut so! Denn offensichtlich gibt es darin mehr Vorurteile als mir lieb sind! Und die dürfen gerne weichen!

Doch Mindelo überrascht mich noch mehr, es überrascht meine Sinne, die auf See doch eher darben.
Nein, es labt meine Sinne.

Wir lassen die Trommelgruppe weiterziehen und suchen ein Restaurant. Wir finden in der Dunkelheit dieses Sonntagabends nur eine Pizzeria. Und noch eine. Und noch eine. Die dritte nehmen wir, aus purer Verzweiflung: Wir haben Hunger.
Die Kellnerin fragt, in welcher Sprache wir die Karte wollen. „Portuguese!“ „Portuguese?“ Sie blickt uns ungläubig an, doch spricht sie von da an Portugiesisch mit uns – das war in Portugal unmöglich. In den Köpfen der sonst intelligenten Portugiesen existierten portugiesisch sprechende Ausländer nicht, sie antworteten immer auf Englisch. Oder Spanisch, was ich nun am wenigsten kann!
Ich esse gegrillten Fisch mit köstlichen Rosmarinkartoffeln, der Salat dazu haut mich um: Das Olivenöl darauf ist erstklassig!

Nachts ist die Stille so laut, dass ich davon kurz aufwache: Kein Wind heult, keine Welle schlägt, keine Fische knabbern am Schiffsrumpf, kein Hund bellt, kein Auto fährt!

Montagmorgen reisen wir offiziell auf den Kap Verden ein. Die Policia arbeitet entspannt, aber effizient und durchaus freundlich. Der junge Beamte der Policia Maritima hingegen ist sichtlich erfreut, dass wir portugiesisch sprechen. Wenn irgendetwas ist, wir sollen kommen, er hilft uns! Keine der beiden Institutionen interessiert sich für den Ausreisestempel der Kanaren, das Wort Visum wird nie erwähnt.

Überhaupt sind die Menschen sehr hilfsbereit: Kaum stolpere ich, hilft mir jemand auf, kaum fällt mir etwas runter, bückt sie einer neben mir, kaum sehen wir fragend um uns, bietet jemand Hilfe an. Dabei sind die Gesichter verschlossen, abweisend – so sehr uns die Züge und die Farbe der Menschen an Bahia erinnern, so fremd sind sie. Es fehlt das Lächeln, die Leichtigkeit des Seins, Allegria: Das Leben auf den Kap Verden ist hart. Vielleicht ist es auch die Stadt, die ihre Gesichter verschließt.

Am Straßenrand verkaufen die Frauen Bonbons einzeln aus großen Körben, manche bieten selbstgemachte, köstliche kleine Fisch- oder Käsepasteten an, Fingerfood von der Straße. Männer jeglichen Alters sitzen unter Bäumen im Schatten und verspielen leidenschaftlich das Leben: Kicker, Poker, Oril, ein afrikanisches Spiel. Straßenköterblonde Hunde, mit mehr oder weniger grau darin, alle gleich groß, alle gleich aussehend, dösen im Schatten, laufen mit eingezogenen Schwanz durch die Straßen. Mayan Terrier nennt meine Freundin diese „Rasse“, die alle Rassen beinhaltet und immer gleich unauffällig aussehende Hunde hervorbringt, in Guatemala genauso wie hier.

Bonbonverkäuferin

Bonbonverkäuferin

Vorbei an bunten Häusern und bunten Fischerbooten, schlendern wir zur Markthalle. Tief sauge ich den würzigen Duft der getrockneten Kräuter ein. Was wird meine Nase hier verwöhnt! Das Angebot an Obst und Gemüse ist groß, wenn auch nicht vielseitig: Zwiebeln, Karotten, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Maniok, Tapioka, etwas Kraut, ein paar Kürbisse, grüne Paprika, viele Tomaten, Papaya, Gurken, eine Handvoll Ananas, Bananen, wenige Äpfel und Birnen, dazu Koriander, Petersilie und Minze.

Mindelo Belem

Boote Mindelo

Etwas hinter der Markthalle liegt der Praça Estrella. Auch hier ist Markt, Obst und Gemüse, aber auch Kleidung wird hier feilgeboten. Tomy fotografiert wie wild.

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Meine Mutter ruft an: „Lasst euch ja nicht einfallen, nach Afrika zu fahren!“
Amüsiert blicke ich um mich: Die Frauen hier sind pechschwarz, ihre langen Röcke bunt bedruckt. Eine Frau balanciert ein großes Bündel auf dem Kopf, die im roten, afrikanischen Kleid trägt ihre kleine Tochter attraktiv auf dem Rücken gebunden, Frauen, von exotischer Schönheit und zeitloser Würde, trotz oder wegen ihrer schmerzensreichen Geschichte.
„Mutti, ich BIN in Afrika!“

Mindleo Kind

Mindelo Junge

Many people from Cabo Verde live in the Netherlands

Many people from Cabo Verde live in the Netherlands

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9. Februar 2015
von Steffi
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Generalprobe bestanden!

Nach 8 Tagen, und vier Stunden legen wir glücklich in Mindelo auf den Cap Verden an. Wir sind in Afrika, Tomy zum ersten Mal in seinem Leben, ich war schon mal in Südafrika, aber das zählt nicht, ist zu europäisch!

Hinter uns liegen 924,5 Seemeilen, rund 1700 km, und jede Menge Erkenntnisse und Erfahrung:

-Fürs Umsetzen des Großsegels stimmt schon mal der Ablauf: Sissi, den Windpilot, auskuppeln, Segel ranholen, Bullenstander aus, Segel dicht holen, auf den anderen Bug schiften, Bullenstander dran, ausbaumen, Sissi einkuppeln und feinjustieren.

-Groß setzen und bergen geht auch immer besser, wir wissen mittlerweile beide, worauf es ankommt. Auf jeden Fall nicht ohne: „Halt das Schiff im Wind!“, weil das vergesse ich ja immer ;-)

-Mit dem Groß vorm Wind segeln: Wir wissen jetzt worauf es ankommt, zumindest unter den bisherigen Bedingungen. Das ist ein guter Anhaltspunkt.

-Vorm Wind braucht unser Schiff bei moderater Welle mindestens 13, besser 14 Knoten Wind, andernfalls fällt das Segel ein. Sprich: zwischen 10 und 14 ist Segelmordwind.

-Mit raumem Wind und leichter Welle reichen 10 Knoten. Bullenstander hilft, in den Wellen das Rigg zu schützen.

-ab 16 Knoten geht auch nur mit der Genua die Luzie ab – bei raumem Wind.

-Wir bekommen langsam ein Gefühl dafür, unter welchen Bedingungen, also der Kombination aus Wind und Welle, welches Segel und welche Größe für unser Schiff optimal sind.

-Trimmen… Wir werden besser…

-Kurs setzen: Glückssache, zumindest wenn frau das angesagte Wetter mit einbeziehen will. Siehe Wetter.

-Kurs halten: Tomy fährt lieber nach Kompass, ich lieber nach Kurslinie am Plotter. Nachts hilft manchmal gar nichts, nur Geduld und Konzentration. Siehe: nächtliches Kreisfahren.

-Wellen sind nicht gleich Wellen. Wenn im Wetterbericht zwei Meter angegeben sind, kann das viel heißen. Von kurz und steil bis zu langer Dünung. Das müssen wir noch studieren.

-Der Wetterbericht! Eine gute Richtlinie, mehr nicht. Weder Passageweather noch GribFiles sind letztendlich für spezielle Reviere genau genug. Und für allgemeine Revier sind sie genau das: Allgemein.

-Die Bedingungen auf See können sich verdammt schnell ändern! Und nicht immer zum Schlechteren!

-Bei der Anfahrt einer Insel/Land ist die Optik auf See täuschend und nicht mit Land zu vergleichen, je weiter weg umso schwieriger ist es.

-Wir werden uns zwar immer wieder neu an die Bewegungen des Schiffes gewöhnen müssen, die gute Nachricht ist: Wir tun es. Wir passen uns den Bewegungen an, wissen, unter welchen Bedingungen wir uns wo und wie zum Anziehen, Kochen oder Waschen hinstellen müssen. Auch an Deck, angeleint, versteht sich, werden wir sicherer.

-Wir kennen eine Unmenge von Geräuschen! So ein Schiff ist eine wahre Sinfonie!

-Die Verpflegung unterwegs war gut, unser schon auf La Gomera gekauftes Obst und Gemüse hielt gut, das französische Gemüse aus der Dose ist wirklich gut. Unsere Vorräte sind gut auf unseren Bedarf abgestimmt. Wirklich viel brauchen wir nicht.

-Kochen unterwegs ist gar nicht so schwierig!

-Vor dem Betätigen des Salzwasserhahnes diesen in die Spüle drehen!!!! Andernfalls droht eine Überschwemmung der Küche!

-Schlafen ist eine Herausforderung, doch es geht.

-Für eine Verbindung mit Sailmail muss ich den Standort eingeben ;-)

-Die Funkrunde um 14:30 hört uns nicht, wir sie schon. Was übersehen wir? Irgendeinen Fehler machen wir doch bestimmt!

-Delfine sind zauberhaft und immer willkommen!

Tomy after raising the Q-Flag before entering Cabo Verde

Tomy after raising the Q-Flag before entering Cabo Verde

8. Februar 2015
von Steffi
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Land in Sicht! 8.Tag T-CV

Nächtliches Kreisfahren ist unsere Königsdisziplin. Darin schlägt uns so schnell keiner! Tomy bekommt die Goldmedaille, ich Silber.

Wenn wir nachts von Hand steuern, sei es weil kein Wind ist und der Motor brummt, sei es, dass wir sie Segel umstellen, einholen oder setzen, gelingt es uns beiden immer wieder, orientierungslos im Kreis zu fahren. Wir starren wie das Karnickel auf die Schlange – die Instrumente – und drehen das Steuerrad garantiert in die falsche Richtung. Tomy, sonst mein wirklich toller Skipper, kann das noch besser als ich.

Woran das liegt weiß ich nicht, ich kann nur vermuten, dass wir uns tagsüber doch unbewusst an Wolken und Sonnenstand orientieren, während in der schwarzen Nacht alle Anhaltspunkte plötzlich fehlen.

Dabei kann Kurshalten wirklich easy und entspannt sein!

Holding the steering wheel inn position

Holding the steering wheel in position

Seit dem Gewitter schnurrte unser nordischer Tiger, der Volvo Penta wieder völlig entspannt. Gestern Morgen, Samstag, gesellten sich wieder ein paar Flecken-Delfine zu uns, dank des fehlenden Windes und geringem Wellenganges konnte ich zum Bug gehen und sie dort beobachten und filmen.

Wunderbar!

Dolphin playing wiht Yemanja at sunrise

Dolphin playing with Yemanja

Heute Morgen kam dann nochmals etwas Wind auf: 12, 13 Knoten – von der Seite! Das reicht! Schnell die Segel hoch und vier Stunden fein segeln: Geradeaus, ruhig, ohne Schaukeln, Hüpfen, Knarzen, Knarren oder Schlagen!

Jetzt sollten nur noch bald diese Inseln vor uns auftauchen…

8:00 Uhr: Land in Sicht! Fels im Wasser! Santo Antão voraus! Und links taucht Sao Vicente auf, dann Santa Luzia, Branco oder Razo und São Nicolau.

Ich bin begeistert: Wir haben die kleine Atlantiküberquerung in ein paar Stunden geschafft!

Jetzt muss ich meine Füße noch landfein machen. Denn…

 

Ich bin barfuß!

 

PS Den Film muss ich noch schneiden, er wird bestimmt toll, schaut also wieder hier vorbei, oder werdet Fan der Facebook Seite SailingWithYemanja, oder meldet euch zum Newsletter an, damit ihr ihn nicht versäumt!

6. Februar 2015
von Steffi
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Wetterleuchten 6. Tag T-CV

So, nun dürfen alle Orien-Tiere wieder aus dem Käfig!

Ob es was genützt hätte, sie einzusperren? Also im Ernstfall? Keine Ahnung!

Der heutige Tag (Freitag) verlief erst mal faul: So untätig habe ich meinen Seemann noch nie gesehen!

Wer uns aus dem Leben vor dem Boot kennt, weiß dass Tomy ständig in Bewegung ist. Noch nie hat er sich hingesetzt oder ausgeruht, solange ich noch etwas in der Küche oder sonst wo zu tun hatte: Tomy half immer, hatte immer etwas zu reparieren oder sah einfach, was ich oder andere brauchten und erledigte es für uns. Selbst die Gartenarbeit, die er so sehr hasst, tat er immer, wenn auch nicht immer gut gelaunt, wenn ich Hilfe brauchte. Daran hat sich natürlich nichts geändert.

Nur gibt es hier am Schiff nichts zu tun:

Sissi, die Windpilotin und zuverlässigstes Crewmitglied steuert, sie hält uns brav vorm Wind. Solange der aus Ostnordost kommt, so um die 15 Knoten Windstärke, rauschen wir dahin. Wir beobachten den Plotter, lesen, bereiten Essen zu, verdauen, waschen uns und die benutzten Küchengeräte. Für all das braucht man selbst auf einem extrem wackeligen Schiff keine 24 Stunden.

Also liegt mein Lieblingsseemann auf Deck und döst oder schläft.

Tomy sleeping on deck

Tomy sleeping on deck

Versteh‘ ich auch gut, denn unter Deck schlafen, war ihm diese Nacht bei dem Geschaukle, Geknarre und Getöse nicht möglich. Er hielt freiwillig lange Nachtwache, weil er an Deck, wo es leise ist, am besten schläft: Alle 20 Minuten Rundumblick und Kurskontrolle reichen ja nachts völlig. Ich hingegen konnte recht gut in der Leekoje schlafen, obwohl ich hie und da hochschreckte: Würde Yemanja kippen oder zerreißen?

Steffi sleeping inside a noisy ship

Steffi sleeping inside a noisy ship

Mittlerweile habe ich größte Hochachtung vor diesen Schiffskonstrukteuren: Die Kräfte, die an so einem Boot zerren, sind unglaublich! Noch unglaublicher ist, dass es das aushält!

Zurück zum faulen Nachmittag: Tomy schlief auf der Bank, ich döste am Cockpitboden. Aus einer Eingebung oder aus Bequemlichkeit heraus hatte ich keinen Brotteig fürs Abendessen vorbereitet. Da riss uns ein Windstoß aus unserer Lethargie: 30 Knoten! Voller Begeisterung stürzte Tomy zum Steuerrad: WIND!!!

Ein paar Tropfen Regen kamen hinzu. Wir rätselten:

 

„War das ein Squall? Hast du den kommen sehen?“

„Nein, der Himmel sieht wie immer dieser Tage aus! Nur links, siehst du das Wolkenband? Das gefällt mir nicht!“, antworte ich.

„Du meinst die Berge dort?“

„Also soweit im Osten sind wir nicht, dass da Berge sein könnten…!“

 

Der Himmel sah weiterhin in keinster Weise Besorgnis erregend aus, auch das Wolkenband war einfach nur ein etwas dünklerer Streifen in weiter Ferne. Es gab keine dunklen Wolkentürme, die Sonne schien, dazwischen ein paar grauere, größere Wolken. Der Wind schlief fast völlig ein.

Doch das Geräusch, das gelegentlich an unsere Ohren drang, war eindeutig Donner. Links, nicht oft. Blitze sahen wir gar keine. Wir legten das Segel auf den anderen Bug, um dem Wetter eher davonzufahren, sicher ist sicher.

Aber irgendwie war das Gewitter dann plötzlich um uns herum, immer noch ohne jegliche bedrohlich aussehenden Wolken. Nur vor uns war alles frei, dort schien die Sonne, eigentlich auch rechts von uns.

Der Donner, jetzt auch die Blitze kamen näher – nicht heftig, nicht oft, aber Grund genug, alle tragbaren Orien-Tier-ungshilfen, Handfunke, Yellow Brick, Garmin und mein iPhone, in den Faradayschen Käfig, den freien und kalten Backofen zu sperren!

Ob uns das im Falle eines Blitzeinschlags irgendwie geholfen hätte? GFK-Boote mögen das ja gar nicht!

Wir wissen es nicht. Wir haben das nur irgendwo als Tipp gelesen oder gehört, ich glaub’ beim Blauwasserseminar auf der BOOT von Sönke Röver.

Da! Ein Blitz, ein Kracher, rechts direkt neben uns, schwere Tropfen, wir flüchten ins Innere.

Und das war es dann mit diesem merkwürdigen Gewitter: Kein Wind, kein Regen, keine auffallend dunklen Wolken, über uns leuchtete blauer Himmel durchs Luk.

Das Gewitter zog in der Nacht gelegentlich blitzend nach Südosten ab, wir nahmen unseren alten Kurs wieder auf und warfen den Motor an. Der Wind ist seitdem weg. Und wir haben etwas zu tun: Steuern, denn Franz, der Autopilot, hat sich schon in den Kanaren in den Krankenstand begeben.

5. Februar 2015
von Steffi
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Halbzeit und mehr T-CV 4. u 5. Tag

Mittwoch, nach vier Tagen, um 14:00, als wir unser Etmal aufschreiben, haben wir genauso viele Meilen vor uns wie hinter uns. Morgens sprang die verbleibende Reisezeit auf unserem Plotter erstmals auf unter 99 Stunden, gestern Mittag waren es noch 98 Stunden bei durchschnittlich 4,5 Knoten Reisegeschwindigkeit – also genau unser bisheriger Durchschnitt. Wir könnten es also bis Sonntagmittag schaffen, in Mindelo zu sein!

Nein, die Butter ist immer noch nicht geschmolzen, doch der Wind hat auf Ostnordost gedreht, wir kommen also in den Bereich, in dem wir Richtung Karibik abbiegen könnten. Zumindest haben es so die alten Passatwindsegler gemacht. Ich aber blicke morgens früh sehnsüchtig nach Osten: Bitte Sonne, komm endlich, steige hoch und wärme mich!

Ich mag es, durch die Nacht zu segeln, über mir der Vollmond oder die Sterne. Was ich gar nicht mag ist, immer wieder aus dem Tiefschlaf gerissen aufstehen zu müssen, weil meine Wache dran ist. Nie ausschlafen zu können, obwohl ich tagsüber munter und recht fit bin. Was mich aber noch mehr stört, ist, dass mir nachts immer noch kalt draun ist. Selbst Tomy hüllt sich in der Nacht an Deck in eine Decke!

Vier oder fünf Schiffe haben wir bisher unterwegs getroffen, einen Zweimaster, offensichtlich auf den Weg zu den Kap Verden oder auch in die Karibik, die AidaCara kam uns entgegen, und zwei oder drei andere. Irgendwann schwammen portugiesische Galeeren neben uns, weiß und winzig, lila waren nur die etwas größeren. Manchmal kommen Delfine vorbei, gestern war einer dabei, der senkrecht 3 Meter in die Luft sprang. Hie und da fegt eine einzelne Seeschwalbe über die Wellen. Sie erinnert uns daran, dass das afrikanische Festland, Marokko und Mauretanien, weniger als 200 Seemeilen entfernt Richtung Osten liegt. Was aber tut sie hier? Wovon lebt sie, wie kommt sie wieder nach Hause?

Immer wieder muss ich an meine Freundin Christine denken, die nie vergisst, zu erwaehnen, dass sie nur Wasser um sich herum nicht ertragen koennte. Ich fuehle mich in diesem wogenden Graublau durchaus geborgen. Nachts plaetschert, rauscht, und gurgelt das Wasser fuenf Zentimeter von meinem Ohr entfernt, zwei Zentimeter dickes, stabiles GFK und eine Holzverschalung, liegen zwischen mir und der Tiefe. In Yemanja knarzt und knirscht und pingt und rollt und quietscht es, immer wieder mache ich Tomy auf ein neues, ungewoehnliches Geraeusch aufmerksam: Mal knarzt es irgendwo Richtung Mast, mal pingt es hinten Richtung Geraetetraeger oder Backskiste: Der Schiffsbauch ist ein grortiger Resonanzkoerper! Leider auch ein beunruhigender, doch wir koennen nie die Ursache der aufmerksam machenden Geraeusche herausfinden.

Dienstagabend war ich so verwegen, “in echt” und frisch zu kochen: Butternutkürbis, mit getrockneten Tomaten und Kapern an Spiralnudeln. Der halbe Butternut war ja vom vorgekochten Linsen-Kürbis-Eintopf des ersten Tages übrig. Ist schon eine interessante körperliche Erfahrung, sich mit einer Hand festzuhalten und mit der anderen die Pfanne über der Gasflamme zu jonglieren. Geht nur bei wenig Seegang, obwohl – Christine und so manch’ anderen würde er reichen. Und ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass Wind und Wellen sanft und liebevoll mit uns sind – die Erfahrung vor El Hierro und auf dem Weg nach Gran Canaria, bzw. La Gomera relativiert sich so etwas.

Heute, Donnerstag, sieht das schon wieder anders aus: Ein neue Bewegung des Schiffes läßt mich nicht einschlafen: Nach der Waschmaschine und der Wackelpetererfahrung folgt die Schiffsschaukel. Was habe ich sie als junges Mädchen im Prater geliebt! Ganz oben saß, ja stand ich, ließ mir den Wind durch die Haare wehen, gab mich der Bewegung hin. Ich schaukle immer noch gerne. Nur nicht wenn ich schlafen will: Nach einigem Herumprobieren mit Segelstellung und -größe koennen wir jetzt endlich einen recht zielführenden und flotten Vorwindkurs fahren. Das heißt aber auch, dass die Wellen, die von hinten kommen – sie sind nicht mal groß – Yemanja immer wieder in die Mangel nehmen, sie sich aufschaukelt, von einem Kippmoment zum anderen. Mittagsschlaf geht so nicht! Und das sage ich, die Königin des “Ich-kann-immer-und-in-jeder-Lebenslage-schlafen!”. Tomy probiert es gerade am Cockpitboden.

Tomy sleeping, me wrtiting

Tomy sleeping, me wrtiting

Gestern Mittag, Mittwoch, sende ich wieder eine Mail an meine Kinder. Ich vermisse es, mit ihnen zu chatten und zu skypen, ich vermisse die Fotos und Videos von unserem kleinen großen Mann, die Bussis, die er auf Mamas Handy drückt, die Bauklotzsuppe, die er kocht. Ich beklage mich hier übrigens nicht, ich hätte ja zu Hause bleiben können. Ich stelle es fest.

Diesmal bekomme ich sofort Verbindung – über die Sailmail Station Lunenburg in Canada. Tomy schaut mir über die Schulter und fragt ganz unschuldig, woher die Funke oder das Modem denn weiß wo wir sind – Ähh, weißes das denn nicht automatisch, so wie das UKW-Gerät???

Ich muss wieder mal er meine Dummheit oder Unerfahrenheit lachen! Sobald ich die Koordinaten unseres Standortes ins vorgesehene Feld eingebe, sieht die Propagation (laienhaft gesagt, die Qualität der Funkverbindung um diese Tageszeit) ganz anders aus! Belgien ist von hier aus nicht zu erreichen, zumindest nicht nachmittags! Das erklärt, warum ich mir die Tage die Finger wund gewählt habe!

Mich tröstet mein leiser Verdacht, dass es anderen aehnlich ergangen ist

Heute Nacht haben wir etwas von unserer Geschwindigkeit und Strecke verloren, durch nachlassenden Wind. Kurskorrektur und Experimenten mit der Segelstellung. Andrerseits fahren wir jetzt einen guten, relativ schnellen Kurs. Die Hoffnung Sonntag noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen, bleibt also.

Wenn wir dann einmal rundherum sind, dann machen wir das noch mal, denn dann wissen wir wie was geht!

PS: Die Rezepte reiche ich demnächst nach.