20. Oktober 2015
von Steffi
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Praia de Algodões

Strand ist, wo die Wellen des Atlantiks Bahias Land ununterbrochen – mal wild und fordernd, mal sanft und zärtlich – zum Spielen auffordern. Sand ist dort, ein paar Riffe, bei Ebbe Becken zum Baden, Wellen zum Surfen, manchmal ein Ort oder eine Stadt, manchmal ein paar Barracas und kilometerlange Einsamkeit. Nur eines ist dort praktisch nicht: Ein sicherer Ankerplatz, der es der segelnden Besatzung erlaubte, sich den Freuden des Strandlebens hinzugeben, mit den heranrollenden Wellen zu ringen, stundenlang am einsamen Strand spazieren zu gehen oder in einer Strandbar Bahias Gaumenfreuden zu kosten.

Camamu Ratos Strand (52)

Und doch gibt es einen solchen Platz: Hinter der dritten Ratteninsel in der Buch von Camamu. Also im Fluss Maraú, wo keine Wellen und kaum Wind hinkommen. Ein kleines Abenteuer ist der Weg zum Meer dann doch noch.

Die Crew der SIMARIL, Blanca und wir verlassen den Ankerplatz vor Blancas Heim gegen acht Uhr morgens, um zwischen der kleinsten Ilha dos Ratos und den Mangroven zu ankern. Dort steigen wir ins Dinghi um und rudern in den kleinen Seitenarm des Maraú. Davon gehen wieder zwei Seitenarme ab, wobei der erste kaum zu erkennen ist. Ohne Blanca hätten wir den zweiten als ersten gezählt und somit die Einfahrt lange gesucht. Wir binden die Dinghis bei den Überresten eines alten Piers fest und stapfen durch das Wasser über die Wurzeln der Mangroven durch den Sumpf an Land. Von dort führen Fußstapfen durch die Mangroven und drei Sandfelder zu bewirtschafteten Land. Zwei Familien leben dort, unter einfachsten, aber nicht unbedingt armen Bedingungen: Es reicht für ein Auto und hübsche Kleidung fürs Baby.

Wir lassen die Ruder bei Judácios Familie im zweiten Haus. Er kam aus einer der wenig fruchtbaren Gegenden Brasiliens, arbeitete erst bei der ersten Fazenda und legte nach und nach eine kleine Plantage hinter deren Land an. Die bewirtschaftet er schon seit über 10 Jahren, und wenn ich alles richtig verstanden habe, heißt das, dass das Land dann ihm gehört. Er baute ein Haus, verlor seine erste Frau, heiratete eine jüngere, wurde Vater einer süßen kleinen Tochter, baute und pflegte weiterhin. Wir schätzen ihn auf 60+ und liegen -20 Jahre daneben.

Hinter Judácios Land liegt die Staubpiste, die die abgelegenen Orte auf der Halbinsel mit dem Rest der Welt verbindet. Ihr folgen wir bis zum Abzweig zum Praia do Algodões. Nochmal nach links und schon blinkt das Meer durch rote Schirme und grüne Palmen sein Willkommen.

Vor uns liegt einer der schönsten Strände Bahias: einsam, mit relativ sanften Brechern, die kaum den Sand aufwirbeln. Wir können schon bald bis zum Grund sehen.

Camamu Ratos Strand (36)

Blanca führt uns zur Barraca eines Spaniers, der uns mit Tapas und Paella aus der Heimat verwöhnt. Später wandern wir am Strand entlang, Blanca sucht das Haus von Freunden. Diese heißen uns herzlich willkommen, der Hausherr freut sich, dass er mit seiner Cachaça Sammlung Patrick beeindrucken kann. Sein „Alcologio“ beeindruckt mich auch: Außerhalb eines Spirituosenladens habe ich noch nie so eine Auswahl von Hochprozentigem gesehen!

Blanca genießt offensichtlich die Gesellschaft, doch Tomy und ich haben die Uhr und den Sonnenstand im Blick, die Tide im Kopf: Wir müssen durch den Sumpf zu unserem Dinghi, dieses vermutlich noch ein paar Meter tragen – ich will das bei gutem Licht tun. Die Krebse fliehen vor mir, das weiß ich, doch zu oft bin ich schon bis zu den Knien im Sumpf versunken! Wenn ich sehe, wohin ich trete kann ich das vielleicht vermeiden.

Wir verabschieden uns, erreichen das Dinghi in der beginnenden Dämmerung. Langsam gleiten wir durch die Mangroven: Vor uns huschen Krebse lautlos, unberechenbar und blitzschnell, wie es Spinnen eben tun, davon. Manche sind kaum größer als eine Kreuzspinne, manche so größer als eine Vogelspinne. Es muss Millionen hier geben, ach quatsch, die Anzahl der Krebse in den Mangroven um uns herum muss die menschliche Weltbevölkerung bei weitem übersteigen!

Wir erreichen YEMANJA kurz nach Sonnenuntergang. Der Himmel belohnt den frühen Aufbruch mit einem tiefen Griff in die Farbtöpfe: Lila, rosa, orange, rot, in der Farbe der reifen Aprikosen hinterlässt die Sonne den Himmel hinter SIMARIL.

Kann ich diesem Himmel Worte hinzufügen?

Camamu Ratos Strand (1)

 

INFO: Ankerplatz hinter der 3. Ilha dos Ratos (weit drum herum fahren) oder vor dem Seitenarm. Wegbeschreibung zum Strand demnächst unter Infos, Downloads oder in der Sidebar.

19. Oktober 2015
von Steffi
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Marau

Der Weg nach Tremembé ist Tomy dann doch zu riskant. Nicht wegen der Felsen im Wasser, Wegpunkte darum herum gibt es, sondern weil es sich nicht auszahlt: Tomy findet jeden Wasserfall, der kleiner ist als Iguaçu, doof. Jens ist auch nicht überzeugt. Das ist ein wenig schade, denn Iguaçu ist nicht zu toppen und ich würde gerne mal in einem Wasserfall baden. Also in einem kleinen. Tremembé wird es jedoch nicht sein, denn Wassertaxis dahin gibt es von Maraú aus nicht.

Dabei ist erstaunlich viel Infrastruktur hier: kleine Supermärkte, Obstläden, einen Baumarkt, einen für Futtermittel und Landwirtschaft, Geschäfte mit Bekleidung und Spielzeug, Möbel, eine Bank, eine Lotterieannahmestelle, eine große Schule, drei, vier Kirchen, ein Taxi, ein paar Bars. Beeindruckend ist die große bemalte Treppe, die hinauf zur Kirche führt und wohl den Weg des Wassers vom Wasserfall bis zu den Walen darstellt.

Große bemalte Treppe von Marau

Große bemalte Treppe von Marau

Ich laufe durch den Ort, ich grüße, die Menschen lächeln freundlich zurück, sind hilfsbereit, ja sie scheinen sich über Besuch und Interesse zu freuen. Noch dazu wo diese Fremden portugiesisch sprechen. Das verbindet. Und doch baue ich gleichzeitig einen Zaun um mich oder auch um sie: Indem ich fotografiere, ziehe ich Gitterstäbe hoch. Ich will Geschichten einfangen, wie die von dem verlassenen Haus, den auslüftenden Stofftieren, dem schief geparkten Schulbus. Ich will schöne Bilder, Bilder, die durch Weglassen wirken, die vielleicht auch etwas lügen, den Ort hübscher machen, als er ist. Oder auch ärmer. Oh ja, mit Bildern lässt sich vortrefflich lügen, auch ganz ohne Photoshop. Manchmal genügt ein Schritt zur Seite, manchmal ein In-die-Hocke gehen, und der Müll oder die Ruine verschwindet.

Bus, Sofftiere, altes Haus, die Kirche von oben, das Kircherl

Dass ich die Kamera um den Hals hängen habe, macht mich nicht angreifbar, ausraubbar oder verletzlich. Ihr Gebrauch ist es. Vielleicht liegt es ja in mir: Wie würde ich mich fühlen, wenn ein Fremder meine Haustür, meinen Garten, die Straße, in der ich lebe fotografiere? Also mein tägliches Leben, nicht irgendeine Sehenswürdigkeit?

Ich kaufe wieder zu viele Früchte, zu viel Gemüse und bereite in meinem Kopf die Speisekarte aus: Indisches Gemüse, Gemüseeintopf mit Streusel überbacken, Ananansrisotto, Eier mit Speck, Salamicrackers, Kartoffelgulasch, Feijão, Krautsalat, Humus, Letscho? Nein, das eine schließt das andere nicht aus…

Am späten Nachmittag fahren wir nochmals rüber zu Jens und Blanca um uns zu verabschieden. Wir holen dazu erst Patrick und Leentje ab, denn deren Außenborder fürs Dinghi streikt.

Unserer jetzt auch.

Angeblich vertragen die europäischen Motoren das brasilianische Benzingemisch nicht: Es wird (heimlich) zu viel Ethanol zugesetzt. Nun heißt es auch für Tomy rudern…

2 OMP (two old man power) says Patrick

2 OMP (two old man power) says Patrick

Da lachte er noch...

Da lachte er noch…

INFO: Genauere Info zu Ankerplätzen etc. folgt demnächst. Zum Blog der Outer Rim über Camamu geht es hier.

18. Oktober 2015
von Steffi
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Im Turm zu Babel

Wer nach Maraú (Mara-u) und zum Wasserfall von Tremembé will, muss durch nicht vermessenes Wasser. In der Mitte des Flusses Maraú sollen wir uns halten, da wäre es tief genug. Es ist nur nicht ganz so einfach die Mitte zu finden. Buchten weiten und schließen sich. Woher kommt der Fluss? Wohin fließt er? Wohin auch immer wir schauen, um uns herum ist alles grün, Palmen, etwas Weideland, Buschwerk, und blau, Wasser und Himmel, vielleicht mit einem weißen Tupfer Wolke 7. Ein oder zwei Fischer sehen wir, vielleicht vier oder fünf kleine, gepflegte Häuschen am Ufer. Das hier ist ein Paradies. Ein nicht vermessenes Paradies. Natur pur.

In Europa wäre es der Himmel für Wassersportler. Vermessen, ausgelotet, ausgebaggert, von Steinen befreit und erschlossen bis in den letzten Winkel.

Erste Ilha dos Ratos

Erste Ilha dos Ratos

Nun, da hätten wir ja gleich zu Hause bleiben können.

Die Antennenmasten von Maraú sind fast ein Schock. Wie Lanzen stecken sie in dem Land, reißen Wunden in den weichen Hügel über dem Städtchen. Ach ja, ich will wenigstens eine SMS an meine Töchter schreiben können, auch wenn ich selten Antwort bekomme: Sie vergessen meist, dass ich Text über Internet versendet, nicht empfangen kann.

Marau

Marau

Ein wenig scheuen wir den Ort, vielleicht auch die Anhäufung Menschen und alles was dazugehört: Musik, Autos, Handel, Schule, Geschäftigkeit. Dabei brauchen wir wieder Trinkwasser, Bier und Obst. Doch für heute reicht es, das Städtchen vom anderen Ufer aus zu betrachten.

Wir ankern gegenüber Maraú, neben dem blauen Segelschiff vor einem hölzernen Steg. Kaum hält der Anker, sind wir auch schon eingeladen, SILMARIL auch.

„Echt? Dürfen wir kommen?“

„Was heißt dürfen, ihr müsst einfach!“

Ich glaube, der ältere Herr in dem kleinen Fischerboot mit dem Sonnenhut tief im Gesicht freut sich darauf, wieder deutsch sprechen zu können.

ABEMA

ABEMA

Es wurde ein sechssprachiger Abend aus fünf Nationen. An einem Ort, von dem zu träumen ich mich kaum wage.

Jens, Deutscher, und Blanca, Peruanerin, kamen mit dem Segelschiff, entdeckten, dass sie hier Wald kaufen konnten – unerschwinglich in Deutschland – und blieben. Hinterm Mangrovensumpf auf den bewaldeten Sanddünen gegenüber von Maraú. Jens rodete den Dschungel, vertrieb Gürteltiere und Boas, baute ein steinernes Haus und einen hölzernen Pier, sank seine ABEMA mit dem Kiel in den Schlamm, legte Treppen an, pflanzte Bäume und Blumen, baute einen Waschplatz für Mensch und Kleidung, gespeist aus der Trinkwasserquelle. Gemüse anbauen klappte nicht, was die Ameisen übrig ließen, fraßen die Guaiamum, die großen blauen Krebse. Andere Segler kamen, gingen, manche blieben eine Weile. Deren Kinder bauten Baumhäuser und Schaukeln, halfen beim Bau des Sommerhauses: Vielleicht 50 m² Raum für Küche, Tisch und Bänke, darüber ein Hochbett, an Ort und Stelle gehalten von halbhohen Wänden und umgeben von einer kleinen Terrasse. Morgens früh flattern Kolibris übern Bett. Die Fledermäuse ziehen den Garten vor, die Affen werden von den Hunden ferngehalten. Strom gibt es erst seit einigen Jahren.

Die Segler zogen weiter, umrundeten die Welt, auch dort, wo andere, weniger Mutige oder Leicht-Frierende nicht hin wollen. Sie begriffen, was Extremsegler brachen und bauen heute Schiffe aus Aluminium. Gute Schiffe. Boreal. Kinder von Abenteurern oder meinetwegen Aussteigern, die eine Art Karriere machten.

Jens und Blanca blieben, träumen davon noch einmal los zu segeln. Viel Zeit bleibt ihnen nimmer, liegen doch die Jahre, in denen der moderne, der Gehirnwäsche der Medien ausgesetzte Deutsche – auch der Österreicher – daran denkt, sich eine Barriere freie Wohnung zuzulegen, längst hinter ihnen. Ach was, in dem Alter, in dem zu Hause die Menschen daran denken sich einen Rollator zu kaufen, nur so für alle Fälle und weil es im Knie ziept, begann Jens mit der Rodung seines Anwesens. Und klettert heute immer noch in sein Hochbett, auch wenn die Beine krumm sind.

Der Mensch begreift einiges unterwegs.

Auch sich auf Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Flämisch gleichzeitig zu unterhalten. In irgendeiner Sprache fällt einem das Wort schon ein. Untermalt mit Blancas südamerikanisch temperamentvollen Gesten ist kein Unverständnis mehr möglich. Nur mehr Lachen und Vertrauen.

Eta prawda.

 

INFO: Einfach bis kurz vor Maraú in der Mitte des Flusses halten, dann in sehr spitzen Winkel (Felsen) entweder Maraú oder ABEMA anlaufen. Demnächst mehr unter Infos, Downloads oder in der Sidebar

 

Mit wem hast du dich schon mal in mehr als zwei Sprachen unterhalten? Wo? Bitte erzähle uns davon im Kommentar.

17. Oktober 2015
von Steffi
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Ilhas dos Tatus e Tubarões

Ich liege an Deck und schaue auf die Palmen und das Grün auf den Ilhas dos Tatus und Tubarões im Rio Maraú. Diese Inseln und den Ort dahinter wollten wir heute Mittag erkunden, doch die Ebbe vereitelte unser Vorhaben: Nicht nur, dass wir mit dem Dinghi kaum über die Sandbänke kamen, nein, beim Aussteigen versank ich bis zur Mitte meines Unterschenkels im schwarzen Schlick. Die Einheimischen warten bis die Flut kommt, dann fahren sie mit ihren Bötchen und der ganzen Familie samt Hunden an die Strände um zu baden.

Einen Sandstrand fanden wir dann aber doch noch. Und Dendêpalmen voller Bromelien.

Mein Robinson

Mein Robinson

Camamu Tatus (10)

Jetzt spendet mir ein vergilbtes Tuch aus jenem Möbelhaus, das die kühlere Welt mit billigen Möbeln und allerlei Schnickschnack versorgt, Schatten. So vor der Hitze der Sonne geschützt, nehme ich die Kronen der Dendê- und Kokospalmen, das Grün des Buschwerks und der Bäume in mich auf, das Grün einer tropischen Bewaldung in seinen unendlichen Schattierungen. So wie die Eskimos viele Wörter für Weiß haben, so sollen die Bewohner des Regenwaldes viele verschiedene Grüntöne unterscheiden können: Da sind die grauen Grüns des frühen Morgens, die grellen, fast blendenden des Mittags, auch die durchscheinenden im Gegenlicht, alle werden sie am Nachmittag erst golden, dann rötlich und schließlich mit der einbrechenden Dunkelheit schwarz und ununterscheidbar.

Camamu Tatus (12a) (2)

Ich weiß, dies ist einer jener ewigen Momente, die ich aufbewahre, dort, wo sich mein Herz mit meinem Geist in Dankbarkeit trifft. Wie die Perlen eines Rosenkranzes reihe ich diese Momente aneinander, bereit, sie mir jederzeit voller Freude in Erinnerung zu rufen. Eigentlich rufen sie einander, diese Perlen. So wie der tiefblaue Tropenhimmel über mir jetzt den Mittagshimmel an einem sonnigen Wintertag im eiseskalten St. Petersburg ruft: Wie Feenstaub glitzert die gefrorene Feuchtigkeit dort in der Luft, eine Feuchtigkeit, die auch hier ist, doch niemals magisch glänzen wird. Die Magie dieses Landes ist eine andere: der Ruf des Bem-te-vi, das Kreisen der Geier, die zirpenden Grillen und die Menschen, deren Kunst, froh unter schwierigen Umständen zu leben mich immer wieder fasziniert.

Gestern erkundeten wir die kleine Siedlung namens Saphinho auf der Insel Campinho: In der Häuserzeile am Meer überwiegen Gastgärten, die sich hochtrabend Restaurant nennen, jeder mit einer beeindruckenden Anzahl von Tischen. Sollten diese an den Sommerwochenenden voll sein, dann muss dieser Ort einem Bienenstock gleichen. Bienen, die mit den Ausflugsbooten kommen, wie Heuschrecken über das Dorf herfallen, ein etwas Honig – Geld – dalassen und dennoch einiges zerstören. Tourismus bringt Nahrung und schneidet doch ins eigene Fleisch.

Heute sind wir jedoch die einzigen zweischneidigen Schwerter, die den Sandweg durch das Dorf entlangschlendern.

Seltsam wie die Natur manchmal spielt. In Saphinho leben gleich fünf Albinos, vier Brüder und eine Schwester. Die Eltern sind portugiesischfarben, doch kommen in beiden Familien Albinos vor. So wie in ihrer Kindheit, so müssen sie auch heute noch alles, was sie nicht selbst produzieren können in Camamu mit dem Boot holen. Durch das saubere, gepflegte Dorf führt zwar ein Sandweg, der sich jedoch im Nirgendwo verläuft. Weder eine Straße noch eine Piste führen hierher, Autos gibt es nicht.

Damals ruderte die hellhäutige Familie die 10 Seemeilen quer durch die Bucht, sieben Mann in einem kleinen Einbaum. Heute geht das mit einem kleinen Tuckerboot. Seit vielleicht knapp 20 Jahren gibt es Strom und fließend Wasser. Einem der jungen Männer, Joao, gehört heute die Strandbar, ein wenig hochtrabend Moquecaria genannt. Er kann sich sogar einen Koch leisten. Und eine Satellitenschüssel mit Flachbildfernseher. Internet hat die Bar auch. Das Passwort dazu kennen die Erwachsenen nicht, das müssen sie bei den Kindern erfragen. Die übrigens schwarz sind.

Moquecaria

Moquecaria

Während wir in dieser Strandbar gegenüber unseres Schiffes sitzen und köstliche Kibe essen, belädt der Wirt – so weiß wie es eigentlich außer einem Albino nur ein Engländer sein kann – einen Kahn mit leeren Bierkästen und Gasflaschen. Kurze Zeit später fährt er los, quer durch die Bucht hinüber nach Camamu, um neue Ware zu holen. Die Fähre kommt, Frauen, beladen mit Bananen und Tüten voller Obst und Gemüse steigen aus. Später, bei Flut, springen die größeren Kinder des Dorfes vom hölzernen Anleger, während die kleineren sich an der Treppe, die jetzt ins Meer führt, tummeln. Die Mütter sitzen daneben, die haben Zeit. Obwohl der Tag durchaus bei Sonnenaufgang noch vor sechs Uhr morgens mit dem Einholen der Reusen oder dem Besteigen der Fähre beginnt: Unter Stress leidet hier vermutlich keiner.

Die Kinder wachsen in einer Umgebung auf, von der die Aussteiger in der entsprechenden Facebookgruppe wohl träumen. Und ich denke, wie paradox das ist: Vermutlich wird keines der Mädchen hier jemals einen internationalen Konzern leiten, keiner der Jungs wird Arzt werden – und doch träumen sie vielleicht von jenem Leben, dem andere entfliehen wollen.

Dem Menschen, so sagt der Gehirnforscher Gerald Hüther, sind zwei Bestrebungen von der Zeugung an mitgeben: Verbundenheit und Wachstum. So streben wir danach, verbunden über uns selbst hinauszuwachsen: Kann es sein, dass die Menschen, die alles haben, über sich hinauswachsen, indem sie ihre Bedürfnisse und Habseligkeiten reduzieren und ein einfaches Leben führen, während die, die wenig haben, wachsen, indem sie nach mehr streben? Die Kinder der Aussteiger könnten so wie die Kinder von Saphinho von Reichtum, Forschung, Autos, Reisen, Hollywood* und Karriere träumen.

Ach ja, nachdem ich die Perlen meines glücklichen Rosenkranzes innerlich ertastet habe, werde ich wieder nachdenklich! Kann ein Mensch reicher sein, als auf einem Schiff vor einer tropischen Insel, in Dankbarkeit ruhend, mit Zeit und genügend Geld für Reparaturen, das Abendessen und Flüge in die Verbundenheit der Familie? Es kann auch gerne eine Tiefschneepiste sein, nicht für mich, aber mein Bruder würde sie vorziehen…

 

*Von einer Karriere als Fußballer träumen gerade wenige: Zu tief ist die Fußballnationalmannschaft Brasiliens gesunken…

 

Welche Momente der Ewigkeit machen dein Leben reich? Wenn du magst, erzähle uns davon im Kommentar

16. Oktober 2015
von Steffi
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Baleia

Stille.
Kein Glucksen und Blubbern, kein Surren und Säuseln
Kein Schaukeln und Schwojen.
Nichts.
Keine Bewegung.
Als ob wir auf Trockendock lägen.
Welch‘ ein Unterschied zu der Nacht zuvor!

Nachdem Montagmorgen die zweite Batterie kochte, blieb uns nichts anderes übrig, als in der Marina Centro Nautico den Feiertag abzuwarten. Um die Dinge ein wenig zu beschleunigen, ging Tomy am Dienstag gleich nach dem Frühstück rüber in die Bahia Marina zu Carlos. In Tomys Beisein organisierte er uns vier Batterien, die um ein Uhr geliefert und installiert wurden. Gut, Delphi sind es keine, die gibt es angeblich nicht mehr, zumindest nicht in Brasilien. Sind jetzt brasilianische. Auch gut – wir können weiter!

Lieferng und Installation waren übrigens im Preis inbegriffen (gleicher Preis wie in Deutschland) . Ich gab dem jungem Mann 30 Real Trinkgeld – in seinem Gesicht ging die Sonne auf! Und wir haben wohl einen neuen Freund…

Am Mittwoch um halb neun brachen wir endlich auf nach Camamu. Allerdings mussten wir bei Morro de São Paulo, dem beliebtesten Urlaubs- und Partyort Bahias, eine Nacht Pause einlegen. Wir wussten zwar, dass der Ankerplatz vor dem Iate Clube rollig sein kann, doch als wir ankamen, war es relativ ruhig.

Morro de Sao Paulo

Morro de Sao Paulo

Die Ruhe täuschte.

Nicht nur wir, auch andere Segler lagen mitten in der Einflugschneise der Taxiboote: Angefangen bei den traditionellen, langsamen Lanchas bis hin zu Schnellbooten mit 500PS nahmen alle Schiffe, die die Ortschaften auf der autolosen Insel miteinander verbinden, uns als Ansteuerung. Kurz vor dem Knall drehten sie ab, mit Vollgas natürlich. Wenn wir Glück hatten, rauschte einer links und einer rechts vorbei, dann glichen sich die Wellen in der Mitte aus. Sicher nachts fuhr keiner mehr, aber da setzte der Wind ein. Und die Wellen…

Einflugschneise

Einflugschneise

Gut, wir wollten ja früh weg. Um halb acht ging es weiter. Erst mal mit tadellos laufendem Motor raus, gegen 17 Knoten Wind und 2 bis 3 m Welle. Ich überlegte, ob ich seekrank werden sollte: Ich war mir nicht sicher, ob das seltsame Gefühl in der Magengrube Hunger – eine viertel Ananas zu Frühstück ist nicht viel – oder etwas Anderes war. Ich entschied mich für ein gekochtes Ei vom Vortag, die Wellen beruhigten sich, mein Magen auch und ab ging die Post. Höchstgeschwindigkeit 11,4 Knoten maß unser Plotter.

Wind und Wellen ließen weiter nach, doch wir kamen gut voran. Ich starrte ins Blaue. Immer wieder meinte ich ungewöhnliche Wellenberge oder etwas Schwarzes gesehen zu haben: ein Wal, das wäre ein Traum! Doch meine Einbildung spielte nur mit mir, obwohl ich wusste, dass es hier welche gibt: Tomy hatte am Tag zuvor ein Blas gesehen.

Und dann:

„Tomy, da ein Blas!“

Ich stand auf, um mehr zu sehen – Ein Buckelwal, ein wenig größer als unser Schiff, sprang gut 100 m seitlich von uns aus dem Wasser, drehte uns den Bauch zu, und platschte wieder hinein. Er zeigte uns noch ein paar Mal seine Flipper und sein Blas, genug für ein Beweisfoto.

Baleia! Unser erster Wal! Atemberaubend!

Buckelwal

Buckelwal

Schon damals, als wir noch hier wohnten, fuhren wir raus zu einer Walbeobachtungstour. Die Buckelwale, Baleias auf portugiesisch, kommen in den südlichen Wintermonaten vor die Küste Bahias, um hier ihre Jungen zu bekommen. Ende der 80er Jahre waren sie fast ausgerottet, heute soll es wieder um die 9000 geben. In Praia do Forte, nördlich von Salvador, ist eine Beobachtungsstation, wo man auch Touren buchen kann. Wir sahen damals keine: Es war Anfang November, die Wale waren schon nach Süden gezogen: Den südlichen Sommer verbringen sie in den antarktischen Gewässern.

An Barra Grande und wunderschönen Stränden vorbei fuhren wir in die Bucht von Camamu. Hübsche Barracas und Häuser säumen das Ufer, wechseln sich ab, mit langen einsamen Sandstränden. Vor den Siedlungen liegen hölzerne Stege, Lanchas, kleine Fischerboote, Einbäume, auch ein paar modernere Taxiboote. Doch hier ist alles langsam und gemütlich – hier überrollt uns kein Speedboot. Hier will niemand noch schnell zur Fähre oder zur Party.

Camamu 1 (11)

Wir ankern zwischen den Mangroven der Ilha do Goió und Saphinjo auf der Ilha do Campinho. Tomy rudert uns noch für ein Sundowner Bier zur kleinen Bar auf der Insel: Vor uns der Fluss, Palmen, Fischerboote, rechts ein paar Häuser und einfach nur ruhiges Sein. Ein Paradies. Hier bleiben. Am liebsten wochenlang.

Camamu 1 (18)

Braucht der Mensch denn mehr? Frisches Wasser, Strom, ein Dach übern Kopf, eine Hose, ein Hemd, Fische und Kokosnüsse.

Ja, ich weiß, wir brauchen mehr. Wir wollen wissen, was hinter der Biegung des Flusses liegt. Internet vielleicht. Morgen.

Mein Körper sagt mir um 7 Uhr abends: Es ist warm und seit einer Stunde dunkel: Es ist mindestens 11 Uhr nachts, Zeit schlafen zu gehen…

Camamu 1 (21)