Por do Sol, Sonnenuntergang, mit Jurandy, Jacare, Paraiba, Brasilien

8. Mai 2016
von Steffi
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Jacare – wie ich vom Krokodil gebissen wurde

Mitten ins Herz hat es mich gebissen, das Biest! Und so schaffe ich es gerade nicht, mit dem Herzen zu sehen…

Das Krokodil in Jacare

Das Krokodil in Jacare

Jacare, Krokodil, heißt dieses kleine Fischerdorf am Rio Paraiba im gleichnamigen brasilianischen Bundestaat, das viele Segler, die von den Kanaren oder Kap Verden über den Atlantik kommen als erstes und oft auch einziges Ziel in Brasilien anlaufen. Andere kommen von Südafrika oder aus Salvador oder Rio und erholen sich hier, bevor sie weitersegeln Richtung Guyanas und Karibik.

So auch wir. Und zwar genau jetzt, weil im brasilianischen Herbst und Winter die Winde günstig sind, um nach Norden zu fahren. Ab Recife geht das das ganze Jahr, aber darunter eben nicht, zumindest nicht so einfach. Da das Schiff nur mehr bis Mitte März nächsten Jahres bleiben darf, mussten wir jetzt fahren – oder ums Kap Horn oder nach Südafrika…

Wollten wir aber nicht.

Nur biss das Krokodil direkt bei der Einfahrt zu, obwohl ich es erwartet habe und auf der Hut war: Ich vermisse Salvador, die Bucht, Itaparica… Der Paraiba, dieses Fischerdorf hier und die Umgebung können einfach nicht mit der Baia dos Todos os Santos mithalten. Landschaftlich nicht, seglerisch nicht und auch nicht von der Infrastruktur her.

Gut, mit Ausnahme des Wifis…

Und so ziehe ich mich zurück, wie immer, wenn es mir nicht gut geht. Zu Hause hätte ich mich ein paar Tage in meinem Nähzimmer verkrochen, hier muss mein Laptop her: Ich schreibe, was das Zeug hält, sortiere Fotos, lese andere Blogs – und bekomme Fernweh!

Zugegeben…

Es ist hier tatsächlich klimatisch angenehmer als in Salvador: Weniger feucht, ja sogar etwas kühler: In dem gemäßigten Klima hier finde ich sogar Portulak am Wegesrand und peppe damit meinen Salat auf. Das gibt Kraft. Nachts brauche ich ein Leintuch zum Zudecken. Auch die unkontrollierbaren Wasserausbrüche im Gesicht bleiben aus. Dafür sind die Mücken hier echt lästig!

Nach und nach krieche ich aus dem Maul des Krokodils:

Das Fischerdorf ist wirklich nett. Bunte, liebevoll dekorierte „Reihenhäuschen“ schmiegen sich die Dorfstraße entlang. 500m lang. Ist also überschaubar.

Jacare

Jacare

Am Ende der Sraße liegt die Eisenbahnlinie und eine  Gschtetten – österreichisch für ein vernachlässigtes Stück Land: Pferde weiden dort, Kühe auch, ein paar Bagger pumpen Schlamm aus den Wasserlöchern. Dahinter liegt die Schlafstadt Intermares, mit vielen neuen Apartmenthäusern, einer Tankstelle und ein paar Supermärkten. Es ist eine andere Welt. Dorthin gelangt man, indem man eine Schnellstraße am typisch brasilianischen „Zebrastreifen“ bei der Bushaltestelle überquert: Große gelbe Schilder weisen die Autofahren darauf hin, wirklich langsamer werden sie allerdings nur wegen der Quebramola, des Stoßdämpferbrechers Bodenwelle. Also jedenfalls kann man dort drei Fahrspuren überqueren und sich gegebenenfalls mit einem Sprung in den Straßengraben, bzw. den tiefergelegten Mittelstreifen retten. Auf der dreispurigen Gegenfahrbahn fehlt die Quebramola, dafür verbreitert der Beschleunigungsstreifen die Fahrbahn auf vier Spuren…

Am Strand von Intermares

Der Strand von Intermares

Die Bahnlinie führt einerseits nach Cabedelo, also zur Capitania, wo wir unser Schiff wieder anmelden mussten. Es gibt dort einen Markt und einen Supermarkt. Hungern müssen wir nicht.

In der anderen Richtung geht es nach Joao Pessoa, das werden wir noch diese Woche erkunden.

Ihr merkt schon: Meine Begeisterung will nicht so recht erwachen. Die hat das Krokodil verschluckt. Samt Kamera – was genau soll ich hier fotografieren?

In Cabedelo

In Cabedelo

Nicht einmal DIE Touristenattraktion des Bundestaates Paraiba – und eigentlich sagt DIE da schon alles – weckt sie auf.

Es ist Jurandy, ein Musiker, der sich seit vielen Jahren zum Sonnenuntergang auf einem Ruderboot vor dem Strand Jacares auf und ab fahren lässt und dabei Ravels Bolero auf dem Saxophon spielt.

Jurandy spielt den Bolero

Jurandy spielt den Bolero

Und ja doch, das ist beeindruckend: Ein Mann, eine Idee – und eine ganze Reiseindustrie lebt davon. Von Joao Pessoa, von Intermares, von Cabedelo aus fahren jeden Nachmittag Ausflugsboote mit feiernden Menschen den Paraiba hinauf oder hinunter, um diesem zehnminütigen Schauspiel beizuwohnen. Schon von weitem hören wir den Animateur und das Gekreische der Frauen, die dem Einheizer antworten. Am Strand, ein paar Minuten vom verträumten Fischerdorf entfernt, tobt der Bär, äh das Krokodil:

Bars, fliegende Händler, Läden mit Kunsthandwerk, Kitsch, Klamotten und Andenken bieten ihre Waren an, Kinder lachen, Menschen fotografieren. Ein, zwei Kapellen spielen vor und nach dem Event, keine brasilianische Musik, aber auch keine schlechte. Die Geige weint und später am Abend wird es dann manchmal doch noch grauenhaftes Gewummere, begleitet vom leisen Summen der Moskitos.

Die Touris kommen

Die Touris kommen

Strand ist übrigens maßlos übertrieben, vorallem nachdem die Strandbars vor ein paar Monaten gesetzeskonform abder doch gewaltsam entfernt wurden. Und diesen Hype um den Sonnenuntergang verstehe ich auch erst, als mir klar wird, dass die Küste ja nach Osten blickt: Der Sonnenaufgang eignet sich nicht so gut zum Feiern.

Nun könnte es hier eine tolle Seglergemeinschaft geben. Tut es ja auch – unter den Franzosen. Ich kann aber kein Französisch. Die Briten sind recht nett, aber so richtig warm werden wir nicht mit ihnen. Da sind die Australier schon besser drauf, auch die beiden Deutschen, die vor kurzem kamen. Alle schon ewig unterwegs, da gibt es viel zu lauschen. Leider bleiben sie nicht lange…

Nein, das Krokodil hat mich noch nicht losgelassen, aber es wird!

Das Krokodil hält mich in den Klauen

Das Krokodil hält mich in den Klauen

INFO

folgt – ich muss mich hier noch umsehen…

4. Mai 2016
von Steffi
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Piraten – gefürchtet oder geliebt, bewundert und herbeigeträumt?

Ist es nicht seltsam, wie wir zu Piraten stehen? Nicht nur wir Segler, auch „normale“ Menschen fühlen sich in ihrer Phantasie zu ihnen hingezogen, fürchten sie aber in der Realität – durchaus zu Recht!

„Der vermeintlich heldenhafte und ruhmreiche Charakter der Piraterie im herrschaftsfreien Raum der hohen See und die Vorstellung von zusammengetragenen Reichtümern haben wesentlich zur bleibenden Faszination der literarisch-medialen Figur des Piraten beigetragen. Die Darstellung der Piraten schwankt hierbei zwischen Dämonisierung und romantisch verklärter Überhöhung.“  Quelle: Wikipedia

Im Karneval verkleiden wir uns als Pirat oder wenigstens als seine Braut, wir hissen fröhlich den Jolly Roger, drucken ihn auf unsere T-shirts, wir nennen uns Pirat bei Facebook und spielen entsprechende Spiele. Es gibt sogar eine Piratenpartei in Deutschland! Die Damen (und bestimmt auch mancher Herr) träumen von einer Nacht in Captain Jack Sparrows Armen, wir strömen wie die Lemminge ins Kino, wenn Johnny Depp mal wieder in seine Rolle schlüpft. Kaum ein Segler in St. Vincent wird die Bucht mit den Filmkulissen auslassen…

Jolly Roger auf Yemanja

Jolly Roger auf Yemanja

Und da genau da treffen wir auf die harte Realität: Vor kurzem wurde dort ein deutscher Segler bei einem Überfall erschossen. Piraten sind für Segler vor allem in der Nähe Venezuelas eine ganz reale Gefahr. Und nicht nur dort, Noonsite ist voll mit Vorfällen und Warnungen. Viele Weltumsegler nehmen den vom seglerischen her gefährlicheren Seeweg ums Kap der Guten Hoffnung in Kauf, um ja nicht in die Hände von den Piraten vor dem Horn von Afrika oder im Golf von Aden zu gelangen.

Das ist Rollo Gebhard bei seiner ersten Reise passiert: Unerfahrenheit und falsches Material führte zu Übermüdung, die dazu, dass er an einer gefährlichen Küste ankerte. Es war schieres Glück, dass er mit dem Leben davon kam. Auch wurde er einmal von der albanischen Küstenwache gekapert, wieder entkam er nur durch Glück einem ungewissen Schicksal.

Und doch vereint Rollo Gebhard für mich den Segler und den romantisch verklärten Piraten zu der Person, die wir – oder zumindest die Herren unter den Lesern – vielleicht sein möchten: unerschrocken, verwegen, frei und ungebunden, den Elementen trotzend, ein Ziel fest vor Augen, Strapazen aushaltend, Wind und Wetter trotzend, wilde Küsten erkundend, Eingeborene und interessante Menschen treffend, der Damenwelt nicht abgeneigt – dabei natürlich grundehrlich und wie Fitzcarraldo Opern liebend…

All das mit einfachsten Mitteln!

Ist Rollo Gebhard ein Held, ein Vorbild für all jene, die heute mit der ARC in Booten, vier bis fünfmal so groß als seines, bis unter die Zähne mit modernster Technik, Waschmaschinen und Watermaker bewaffnet den Atlantik queren? Für diejenigen, die den stürmischen Weg um Kap Hoorn wagen? Oder gar im Norden durch die Bering-See? Was ist übrig geblieben von den verwegenen Unternehmungen vergangener Tage? Was hinterlassen wir unseren Nachkommen?

Die Botschaft, dass jeder seinen Träumen folgen sollte? Dass viel mehr möglich ist, als sich Max Mustermann vorstellen kann? Ohne Rentenversicherung und Zukunftsangst? Etwas anderes als mein Haus, mein Auto, mein Boot? Okay, letzteres brauchen wir Segler!

Hinterlassen wir Kinoträume? EBooks? Sind wir Segler ansteckend mit – Seefieber? Trotz Piraten?

Wir wollen doch alle unbeschadet durchs Leben gehen – warum verklären wir dann die Piraten vergangener Zeiten so? Es waren Mörder, Kidnapper, Erpresser und Diebe, genauso wie diejenigen, die heute ihr Unwesen treiben!

„Die altrömischen Staatsmänner nannten den Piraten den “Feind aller”. Für viele Somalier aber sind nicht die Piraten der Feind, sondern die ausländischen Fischer, die der somalischen Küste mit ihren Booten immer näher kommen. Die Ausländer bedienen sich in den Gewässern. Keine Ordnungsmacht schützt die Küste, und so begannen die Somalier vor etwa zehn Jahren, die fremden Schiffe anzugreifen. Sie merkten schnell, dass es ein gutes Geschäft war, die Besatzung als Geiseln zu nehmen und Lösegeld zu verlangen – einträglicher, als weiter fischen zu gehen.“ Quelle: Die Zeit

Sicher, irgendwie haftet ihnen etwas Robin-Hood-haftes an, auch heute noch: Die Armen holen sich, was die Reichen ihnen vorenthalten…

„An Bord, sagt Salaax, hätten sie viel über Frauen gesprochen. Bei denen kämen Piraten gut an. Piraten würden in Somalia janale genannt, wie früher die Arbeiter, die aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten zurückkamen, gut gekleidet, mit dicken Bäuchen. Jeder Vater wolle seine Tochter einem janale zur Frau geben. In Somalia ist ein Pirat einer, der es geschafft hat.“ Quelle: Die Zeit

Rollo Gebhard fuhr unbekümmert los, er überlebte Kaperung und Piraterie mit viel Glück – ich möchte niemals in seine Lage kommen!

Deshalb beschäftigt mich noch etwas anderes: Wenn all das wächst, dem wir Aufmerksamkeit und damit Energie schenken, inwieweit nehmen dann Überfälle durch moderne Piraten zu, indem wir ihre Vorfahren und ihren Status verklären? Was genau „träumen“ wir da ins Leben?

Was genau ziehen wir in unser Leben mit unserer Angst? Oder sorgt die spielerische Auseinandersetzung für Sicherheit? Immerhin gab es 2015 vor Somalia keinen Piratenangriff mehr. (Der Spiegel)

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Angst sich ausdrücken muss: Wovor auch immer ich große Angst habe, es tritt etwas Beängstigendes eint. Da ich gleichzeitig vollkommen von meiner Sicherheit überzeugt bin, verläuft das immer gimpflich. Trotzdem achte ich darauf, meinen Angst- oder Schmerzkörper nicht zu nähren. Das heißt, mir meiner Gefühle und Gedanken bewusst zu sein ohne mich von ihnen überwältigen zu lassen: Hier und jetzt bin ich immer sicher.

Damit höre ich jetzt auf und beschäftige mich wieder mit unserer Sicherheit und den angenehmen Dingen des Lebens. Mit meinem festen Glauben an das Gute im Menschen. Mit Vertrauen. Vertrauen in meine Sicherheit, ins Leben, ins Universum, darin, dass das Beste für alle geschieht. Schließlich fahren tausende Segler sicher über die Meere, wunderbare Menschen und Gemeinschaften treffend!

Und zu den angenehmen Dingen des Lebens gehören Rollo Gebhard und Captain Jack Sparrow. Und mein Pirat. Vielleicht ein Tänzchen?

Wie stehst du zu modernen, historischen und fiktiven Piraten? Und was hälst du von dem manchmal naiven und doch so verwegenen Segler Rollo Gebhard?

INFO

Buch Rollo Gebhard: Seefieber, Verlag Millemari

Hier geht es zu weiteren  Teilnehmern der Blogroll

Weitere Bücher von Millemari

Für diese Rezension/Blogroll wurde mir ein Exemplar des Buches von Millemari zur Verfügung gestellt.

Quellen:

Wikipedia

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/keine-piraten-uebergriffe-vor-somalia-im-jahr-2015-14047726.html

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/horn-von-afrika-was-wurde-aus-den-piraten-von-somalia-a-985982.html

http://www.zeit.de/2016/04/piraterie-asylbewerber-somalia-verdacht

29. April 2016
von Steffi
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Am liebsten fotografiere ich

Blumen. (Fischer)boote. Kurioses. Grafitti und Urban Art

Also es kommt drauf an:

Zuhause sind eindeutig mein Garten und die Blumen darin mein Lieblingsmotiv, manchmal garniert mit etwas Hund oder Katz‘.

In den Buchten Bahias sind die Einbäume, Saveiros und andere Arbeitsboote mein liebstes Motiv.

Fischerboot vor Containerschiff

Fischerboot vor Containerschiff

Kurioses, Bemerkenswertes, oder das, was ich dafür halte, gibt es auch immer wieder.

In Itamarati - könnte aber überall in Bahia sein

In Itamarati – könnte aber überall in Bahia sein

Doch in Städten fasziniert mich am meisten die Straßenkunst: Das was Menschen wie du und ich tun, um ihre Stadt bunter, freundlicher und hübscher zu machen. Und natürlich das, was Künstler dazu beisteuern. Was Grafitti und Murals angeht ist Salvador da Bahia eine wahre Fundgrube:

D letzter Tag (19)

Grafitti in Ribeira, Savador, Brasilien

Grafitti in Ribeira, Savador, Brasilien

Rio Vermelho, Salvador

Rio Vermelho, Salvador

Mercado Modelo, Salvador

Mercado Modelo, Salvador

Am Hafen, Salvador

Am Hafen, Salvador

Am Hafen, Salvador

Am Hafen, Salvador

Am Hafen Salvador

Am Hafen Salvador

Mehr Grafitti findest du, wenn du im Schlagwortverzeichnis auf Grafitti & Co klickst

Was fotografierst du am liebsten? Bitte hinterlasse einen Kommentar, schau bei der Blogparade der Reisebloggerin vorbei und schau, was die anderen Teilnehmer gerne fotografieren! Sind tolle Fotos dabei!

21. April 2016
von Steffi
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Wir haben es getan

Wir haben Salvador verlassen. Unter Tränen unsere Freunde zurückgelassen. Und eine Stadt, einen Ort, der sich wie „Zuhause“ anfühlt.

Aber das meine ich nicht.

Den Abschied feierten wir mit unseren Freunden in der besten Churrascaria der Stadt. Es war so lecker! Aber war vielleicht auch ein Fehler – und auch nicht, was ich meine

Wir verließen Salvador mittags bei einsetzender Ebbe. Der Wetterbericht versprach relativ schwachen Wind, um die 15 bis 18 Knoten, erst mal aus eher östlicher Richtung, dabei mit der Abnahme der Breitengrade immer mehr auf Süd drehend. Soweit die Idee…

Auf Wiedersehen!

Auf Wiedersehen!

Die ersten Stunden fuhren wir also mit Motor und Großsegel hart am Wind hinaus aus der Bucht, um nach der Baixa Santo Antonio nach Nordosten abzudrehen. Weiter ging es relativ hart am Wind, diesmal ohne Motor. Die Wellen waren okay, Wind auch. Wir ließen uns die Kibe, arabische faschierte Laberln oder Frikadellen, die Dalva extra für uns zum Abschied gemacht hatte, gut schmecken, ebenso die Semmel und den Tomatensalat.

Ich mache es kurz: Wir behielten alles in uns, allerdings war es auch praktisch das letzte, das wir in vier Tagen gegessen haben.

Denn die Tabletten gegen Seekrankheit, die ich in Salvador gekauft hatte, halfen nicht. Uns den Bauch am Abend vorher nochmals vollzuschlagen, war wohl auch nicht klug.

Da lache ich wieder - und noch

Da lache ich wieder – und noch

Als die Nacht anbrach, waren wir gerade mal vor Itapuan – das sagt dir wahrscheinlich nichts, unseren Töchtern aber schon. Jedenfalls ist es gerade mal um die Ecke… Zumindest mit dem Auto, siehe Beitragsfoto.

Der Wind pendelte sich so um die 18 Knoten ein, aber die Wellen waren – Scheiße. Yemanja hüpfte wie ein bockiges junges Pferd, das gerade zugeritten wird und alles tut, um seinen Reiter abzuwerfen. Irgendwie kam ich da auf blöde Ideen.

Und da die Welt so ist, wie in meinem Kopf, und außerdem alles wächst, dem wir Aufmerksamkeit schenken, wollte ich die nicht auch noch nähren…

Sabine Olscher von Ferngeweht, hatte kurz vor unsere Abreise zu einer Blogparade “Stadt-Land-Fluss” aufgerufen, und das rettete mir quasi das Leben. Es half ungemein, die nächsten drei Tage und Nächte zu überstehen, denn besser wurden die Bedingungen nicht…

Also spielte ich „Stadt, Land, Gewässer, Gebirge, Sehenswerter Ort“ in meinem Kopf, einfach das Alphabet durch. A wie Amsterdam, Amstetten, Athen, Addis Abeba – Algerien, Afghanistan, Argentinien, Andorra, Angola, Albanien (also ihr merkt schon, alles das mir einfiel in meinen Dämmerzustand mitten bei der Nachtwache) – Attersee, Ahr – der naheliegende Annapurna fiel mir wesentlich schneller ein, als der exotische Anninger, der Berg vor der Haustür meiner Kindheit – Allgäu, Anatolien, Andalusien…

Schwierig war auch zu entscheiden, ob der Mount Everest unter M oder E kommt, ebenso Lago Maggiore? L oder M? Ist Kärnten ein Land oder gelten Bundesländer nicht? Schwerwiegende Fragen! Umlaute legte ich unter die „Joker“ X bzw. Q… Bei Z angekommen, begann ich von neuem. Bei Sehenswürdigkeit galt Disneyland genauso wie Donaudelta, also alles worüber man bloggen könnte. Dazwischen döste ich. Oder überlegte schon mal, was ich über die Newa für die Blogparade schreiben werde.

Jedenfalls gingen die ersten zwei Nächte vorbei, mit drei Scheiben Zwieback und einer kleinen Handvoll Nüsse. Dann bekam ich unbändigen Appetit auf Palmherzen…

Sie taten mir sehr gut, allerdings kam das flaue Gefühl im Magen immer wieder.

Wenigstens konnte ich schlafen, Tomy eher nicht. Das heißt ich hielt meisten Wache. R – ein Fluss mit R??? Gibt es denn keinen Fluss mit R?

Irgendwann kam ich auf Rhein

Am dritten Abend kam eine Inspiration über uns: “Wir reffen!” Das wäre auch besser fürs Material, meinte Tomy.

Ha!

20 Minuten später waren aus den angesagten 20 Knoten, 28 Knoten Wind geworden. 34. 38. Landratten können sich vielleicht besser etwas unter 8 Beaufort Windstärke vorstellen. Dazwischen ging der Wind runter auf 22 Knoten. Immer noch gegen an.

Ich sandte Dankesgebete für unsere Eingebung zum Himmel.

Dann ein Knall, als ob jemand ein Holzbrett aufs Deck geworfen hätte. Erschrocken blickte ich auf Sissi, unsere Windpilotin – die übrigens hervorragende Arbeit leistete. Doch sie hielt uns weiterhin auf Kurs, ritt brav die Wellen ab. Mit einer Taschenlampe suchte ich die Ursache, fand aber nichts.

Weitere zwei Stunden später blickte ich aufs Segel: Es war ganz, aber die Halterung des Refftaues, ein Plastikteil, war weggerissen. Samt Schraube. Wie war das gleich nochmal mit dem Denken?

U wie Ulaanbaator; Uruguay, Ungarn, Ukraine; Uturuncu – nein erst ein Gewässer, der Uturuncu ist ein Vulkan…

Wenn mir in Jacare jemand 100000 Euro für mein Schiff bietet, kann er es haben. Samt Inhalt. Na gut, ohne Laptop, Kamera, meinem Lieblingskleid und Gustav.

W ist leicht: Wien (Stadt); Wien (Bundesland); Wien (Fluss); Wiener Berg; Wiener Wald… Damit kann ich natürlich keine Punkte machen, wenn ich mit Österreichern spiele.

Tomy, mein geliebter Piefke, mochte nicht mitspielen.

Er band das Reff provisorisch fest und wir konnten gut weitersegeln. Es wäre natürlich fürs Segel am besten gewesen, in das zweite Reff zu binden, aber in der Nacht, bei dem Seegang, den überkommenden Wellen, wollte ich Tomy nicht am Vorschiff haben. Außerdem war es unwahrscheinlich, dass der Wind noch mehr werden würde, schließlich gibt es im nördlichen Südatlantik keine Stürme. Und daran hat sich der Atlantik auch zu halten!

Wir holten das weitere Reffen am nächsten Tag nach, als Wind und See sich etwas beruhigt hatten. Von da an war das Segeln auch angenehmer. Die letzte Nacht machte sogar wieder Spaß! Yemanja tanzte und surfte wieder fest und sicher geführt vom Windpiloten über die Wellen, wie ein fröhlicher kleiner Korken, bis zu 13,5 Knoten schnell. Das allerdings nur für ein paar zehntel Sekunden.

Kurz vor dem Einbiegen Richtung Einfahrt in den Rio Paraiba kamen uns noch zwei Containerschiffe in die Quere. Eines ließen wir passieren, das andere kam näher, als mein Sicherheitsgefühl es mag – genau zu dem Zeitpunkt setzte der Regen ein. Wir konnten kaum das Vorschiff sehen, geschweige denn, die Medea! Doch über Funk wurde die Situation schnell geklärt.

Nach 98 Stunden, mit insgesamt 6 Kibe, einer Tomate, einem Brötchen, zwei Gläsern eingelegten Palmherzen, vier Handvoll gemischten Nüssen, 12 Scheiben Zwieback und drei Dosen Cola im Magen und einem ausgiebigen Schlafmangel lagen wir sicher an der Boje in der Marina Jacare Village  im Rio Paraiba zwischen Cabedelo und Joao Pessoa.

Gaaaaanz wichtig: WIFI

Gaaaaanz wichtig: WIFI

Und was wir jetzt Ungeheures getan haben?

Wir liefen an einem Freitag aus! Und das tut ein abergläubischer Segler nicht…

Bist du auch schon mal an einem Freitag zu einem längeren Törn aufgebrochen? Spielen Kinder heute noch Stadt-Land-Fluss?

Ach ja: Yemanja steht ntürlich nicht zum Verkauf!

INFO

Törn: Salvador da Bahia bis Jacare/Cabedelo
Ablegen 11:30 Ortszeit bei einsetzender Ebbe
Fahrtzeit: 98 Stunden
Wind: Von 10 bis 38 Knoten in Boen
Windrichtung Ost, Südost auf Süd drehend
Meilen: 520
Größtes Etmal: 139 Seemeilen

20. April 2016
von Steffi
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Abschied von allen Heiligen in der Bucht

Da dachten wir, wir könnten uns einfach so auf die Schnelle davonmachen, ab in den Norden, weg von der Magie Bahias, doch die Heiligen in der Bucht Todos os Santos wollten uns nicht ziehen lassen, ohne uns ihren Segen mit auf den Weg zu geben…

Bis Ende Juni wollten wir in Surinam sein, mit Bangen, ob wir dann auch all das Verlockende unterwegs sehen könnten. Manches andere verursachte uns bei dem Plan noch Kopfschmerzen das Naheliegende musste uns erst der Zufall einflüstern: „Bleibt, fahrt noch einmal mit der Chulugi durch die Bucht, verabschiedet euch anständig von allen. Und segelt dann eben nur bis Jacare hinter Recife. Im Herbst habt ihr dann genug Zeit für die Guyanas…“

Also änderten wir spontan unseren Plan!

Gemeinsam mit Joanna von der Chulugi und Jochen, den wir schon in Monnickendam kennen gelernt hatten, suchen wir die Baumkirche oder den Kirchenbaum auf Itaparica, finden anfangs aber nur das charmante Fischerdorf Baiacu auf der Innenseite der Insel: Packesel ziehen an uns vorbei, streunende Pferde suchen am Ufer nach Gras und nach Liebe (oder auch nur Trieben), Fischer flicken ihre Netze und die Winkelkrabben suchen vor uns Schutz unter den Hütten der Fischer. Eine Bierbude oder Barraca gibt es auch: Der Tag ist schon mal gerettet.

Bei der Rückfahrt zur Hauptstraße finden wir den Abzweig zur von Bäumen überwucherten Kirchenruine. Und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Wie Angkor Wat ist sie von dicken Wurzeln und Lianen überwuchert, sie halten die letzten Mauerreste zusammen.

Baumkirche oder Kirchenbaum?

Baumkirche oder Kirchenbaum?

Kirchenruine auf Itaparica

Verwunschene Kirche

Itaparica-0159

Und doch wird sie noch sakral genutzt: Maria, Antonius, Cosmas und Damian, Georg, der Drachentöter und ein koketter Heiliger, der uns unbedingt seine am Oberschenkel tätowierte Rose zeigen will stehen in jeder Nische, umgeben von Kerzenwachs. Was genau hier verehrt wird, kann ich nicht sagen: Ogum oder der Heilige Georg, Ibeji oder Cosmas und Damian, Yemanja, Oxum oder Maria? Candomble oder Heiligenkult? Sie wünschen uns alle eine gute Reise…

Am nächsten Tag segeln wir mit schönstem Wind nur mit der Genua mit 7 Knoten in den Rio Paraguacu und hinauf nach Maragogipe. Dort nehmen Joanna und ich den Bus nach Sao Felix/Cachoeira: Nicht nur, dass ich ganz sicher bin, dass die Kunsthistorikerin diese Doppelstadt mögen wird, nein, sie möchte auch unbedingt die Christusstatuen in der Sakristei der Karmeliterkirche sehen. Denn sie sind etwas Besonderes.

Doch erst besuchen wir das Wohnhaus von Hansen Bahia, jenem Künstler aus Hamburg, der in Sao Felix seine Wirkungsstätte fand. Am Eingang zu seinem Haus begrüßt uns die Heilige Barbara, oder Iansa, die Kraft des Windes – Möge sie uns gewogen sein! In der Zigarrenfabrik Dannemann „pflanze“ ich ein paar Bäume im Mata Atlantica (atlantischer Regenwald) im Namen meiner beiden kleinen Engelchen. Dann gehen wir über die Brücke nach Cachoeira und ins Carmo: Die Christusfiguren, die vor Ostern in der Semana Santa in mehreren Prozessionen durch den Ort getragen werden wurden in Macao hergestellt: Der feingliedrige Jesus hat Schlitzaugen!

Chrstusstatuen in der Sakristei des Karmeliterklosters

Chrstusstatuen in der Sakristei des Karmeliterklosters

Wer im August nach Cachoeria kommt, darf die Feierlichkeiten und Prozessionen der Irmanidade de Boa Morte nicht versäumen: Die Schwesternschaft der Frau des Guten Todes ist die erste weibliche schwarze Widerstands oder auch Hilfsgemeinschaft Lateinamerikas. Sklavinnen, die für ihre guten Dienste mit Silberschmuck oder wertvollen Stoffen beschenkt wurden, kauften andere arme Sklavinnen frei, die in der Irmanidade einen guten Lebensabend verbringen konnten. Heute leben noch 25 Schwestern in Cachoeira, davon drei Novizinnen. Und natürlich sind ihre Zeremonien nicht rein katholisch…

Ein hübsches Rindvieh!

Ein hübsches Rindvieh!

Mit dem Segen von Hansen Bahias Jesus, Iansas, einer heiligen Kuh, des chinesischen Jesus und der Jungfrau des guten Endes suchen Joanna und ich die Bushaltestelle, nehmen dann aber doch ein Taxi zurück nach Maragogipe. Dort hatte Tomy eine Begegnung mit einem ganz anderen Gott:

Eine wunderschöne junge Boa c. constrictor, auf Deutsch Abgottschlange, hatte sich unter einem Fender versteckt! Wir vermuten, dass sie mit einem Stück Treibholz den Fluss herunter kam und auf unserem Schiff Schutz suchte. Tomy wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was für eine Schlange das ist und ging davon aus, sie könne schwimmen, also warf er sie wieder ins Wasser – er versichert mir, dass sie schwimmend die Mangroven am Ufer erreichte.

Boa constrictor

Boa constrictor

Wir fahren weiter, diesmal durch nicht kartographierte Gewässer hinauf nach Sao Tiago de Iguape. Völlig ruhig liegen wir im Fluss vor diesem verschlafenen Fischerdorf. Wir warten auf die Flut, dann landen wir an, suchen uns ein schattiges Plätzchen neben einem Kreuz um zu grillen. Der Absperrhahn des Gasgrills klemmt, erst mit Hilfe der freundlichen Fischer und deren Werkzeug gelingt es Marcel und Tomy das Teil in Gang zu setzen. Bald geht die Sonne unter, die Jugendlichen des Dorfes toben im Wasser, Sao Tiago und Maria winken uns zum Abschied – schade, hier würde ich es noch eine Weile aushalten.

Vor Sao Francisco, dort waren wir schon mal, liegen wir in der Strömung des Flusses, lange nicht so ruhig, dafür sehr malerisch. Wieder müssen wir auf die Flut warten, um an Land zu können. Die Klosterruine schließt gerade als wir ankommen, doch der lokale Guide lässt sich überreden und öffnet nochmals für uns. Übrigens grüßen uns auch hier Ibeji und der kokette Heilige. Das Sundowner Bier trinken wir an der Bar im roten Container, mit Essen rechne ich nicht. Doch siehe da, ein paar Häuser weiter kocht und verkauft eine Dame ein köstliches Gericht aus Siri, einer Krebsart. Der heilige Franziskus meint es eindeutig gut mit uns.

Sao Francisco de Paraguacu

Sao Francisco

Die Palmen vor der kleinen Kapelle gegenüber der Insel im Fluss winken uns zum Abschied – den Guten Jesus von Bom Jesus und die neuen Graffitis in Madre de Dios (Muttergottes) lassen wir aus. Bonfim auch. Und … Ach es gibt zu viele Heilige hier!

Nur den Segen von Iemanja brauch ich noch – oder ich nehme sie mit?

Eine Iemanja, gemacht von meiner Freunidn Monika und unter Mühen zu mir gesandt

Eine Iemanja, gemacht von meiner Freunidn Monika und unter Mühen zu mir gesandt

Yemanja, Grafitti im Hafen von Salvador, Bahia

Ein neues Grafitti am Hafen: eine wunderschöne Yemanja!

Hier erzählen Joanna und Marcel von unserem Ausflug.

INFO

Baumkirche und Baiacu: Am besten in Itaparica zu mehreren ein Taxi für den ganzen Tag mieten; von der Hauptstraße über Itaparica geht ein Wegweiser nach Baiacu (Buchtseite) ab, auf der linken Seite kommt ein Teich, hinter der nächsten Kurve geht es links hinauf zur Kirche. Von Baiacu kommend sieht man sie. Abschließend könnte man an der Seeseite in Barra do Gil mit Blick auf Salvador in einer Strandbar einkehren (bis ca. 16:00)

Sao Felix/Cachoeira: Busse aus Maragogipe gehen um 8:30 nach Sao Felix, Fahrtzeit etwa eineinhalb Stunden, Fahrpreis 4,50 Reais. Für das Taxi zurück haben wir 10 Reais pro Person gezahlt.

Sehenswert in Sao Felix: Hansen Bahias Wohnhaus (Eintritt frei), Zigarrenfabrik Dannemann (Eintritt frei, von 12 bis 14:00 zu, auch montags geschlossen), Brücke über den Paraguacu und der Blick auf Cachoeira.

Sehenswert in Cachoeira: Irmanidade da Boa Morte, Eintritt 5 Reals, mittags geschlossen; Christusfiguren in der Sakristei des Carmo, Eingang links neben der Kirche, mittags geschlossen, Eintritt 5 Reals. Darüber hinaus ist Cachoeira einfach ein hübscher Ort.

Sao Tiago de Iguape: Geht durch nicht kartographierte Gewässer, am rechten (flussaufwärts) Uferrand halten, bei einlaufenden Wasser fahren. Kleine Geschäfte für den täglichen Bedarf, morgens fährt ein Gemüsewagen durch den Ort. Bar, kein Restaurant

Sao Francisco: Das Kloster sollte von 7:00 bis 16:00 geöffnet sein, bzw wenn seitlich die Gittertür offen ist. Wenn dann die Tür geradeaus zu ist, ist eine „Führung“ im Gange, und man muss warten. Kleine Geschäfte für den täglichen Bedarf, Bar, kein Restaurant. An der Bar im roten Container ganz rechts unter dem Baum lohnt es sich, nach Essen (Comida) zu fragen.