„Mist, jetzt habe ich den Grill vergessen, die Jungs wollten doch Würstchen grillen!“ schimpft Tomy augenzwinkernd als er in den Bus einsteigt. Brauchen wird er ihn wohl nicht, denn seine Vatertagstour ist ungeplant: Von dem kleinen Ort Wanssum mit dem Bus nach Venray, von Venray mit dem Zug nach Nijmegen, von dort mit dem Zug nach Amsterdam Central, dann mit der Metro nach A’dam Noord und schließlich mit dem Bus nach Katwoude, wo unser Auto steht. Um es mit Friedrich Torbergs Tante Jolesch zu sagen: „Gott soll einem hüten vor allem, was noch ein Glück ist!“
Tomys Schwester Anette hatte eine Bavaria 32 in Roermond liegen. Da sie sich dort nicht mehr wohl fühlte, wollten wir ihr Schiff von Roermond über die Maas, den Rhein, die Gelderse Ijssel und das Markermeer in unsere Marina in Katwoude überführen. Der Mast war seit Ende März gelegt, allerdings musste der Motor noch gewartet und repariert werden. Das war zwar auch eine längere Geschichte, die gehört aber nicht wirklich dazu. Jedenfalls war die Wettervorhersage für diese Woche gut, also los!
Am Dienstag bringt Tomy unser Auto nach Katwoude, wir brauchen ja eines, um wieder nach Hause zu kommen. Denn Skipper, Anettes überängstlicher Hund, müsste im Zug einen Maulkorb tragen. Das ginge vermutlich nicht gut. Da Tomy keine Angst hat, fährt er mit dem Zug zurück nach Roermond.
Wir legen am Mittwoch um 8:30 ab. Vor der Schleuse Roermond müssen wir fast eine Stunde warten, aber das Schleusen selbst klappt gut. Ist ja eine Weile her, dass wir das gemacht haben. Auch die zweite Schleuse bringen wir gut hinter uns, der Motor schnurrt, wir kommen gut die Maas hinunter voran. Es geht vorbei an Venlo und kleinen, netten Ortschaften, an Wohnwägen, Kühen und Wiesen. Wir werden von Flusskreuzfahrtschiffen und Güterschiffen überholt, wir kreuzen Fähren und grüßen die entgegenkommenden Motorboote. Unser Tagesziel ist der Passantenhafen in Mook.
Kurz vor der letzten Schleuse an diesem Tag, etwa zwei Stunden vor Mook, bei Kilometer 139, kreischt der Motoralarm. Tomy nimmt sofort Gas weg, checkt die Kühlung, mittlerweile leuchten alle Warnlampen. Wir müssen ankern. Rechts von uns ist ein Uferbereich mit gelben Bojen abgetrennt, wir lassen uns vorbeitrieben und dahinter den Anker fallen. Der hält auch schnell, wir liegen relativ sicher außerhalb der Fahrrinne. Wir haben Glück!
Aus der Steuersäule qualmt es, auch drinnen stinkt es nach Kabelbrand.
Der weitet sich nicht zur ultimativen Katastrophe aus. Ein riesiges Glück.
Tomy sucht zwar den Fehler, kann aber nichts finden, der Motor hat keinen Strom mehr und springt auch nicht mehr an. Wir hissen die rote Flagge und suchen Hilfe:
Kanal 10, der auf Hollands Binnengewässer angeblich die Rolle von Kanal 16 auf See hat, ist praktisch schon seit Roermond tot. Ja, das Funkgerät funktioniert, hat es ja vor den Schleusen auch getan.
- 112 ist erst etwas verwirrt, weil wir ja AUF der Maas sind, verweist uns dann an eine andere Stelle, ich weiß nicht mehr wer es war.
- Der junge Mann dort versucht wirklich zu helfen, aber mehr als uns eine Telefonnummer der Marina in der Leuker Heide rauszusuchen, kann er auch nicht tun.
- Marina Nummer eins in der Leuker Heide hat kein Boot.
- Hafenmeister Marina Nummer zwei muss zur Beerdigung seiner Mutter.
- Reddingsbrigade hat Mittwochnachmittag Ruhetag.
- Nochmals den netten jungen Mann, aber der weiß auch nicht weiter.
- Marina Wanssum hat kein Boot.
- Auch alle anderen Marinas, schon hinter der Schleuse haben kein Boot.
- Nochmals 112, schließlich die Wasserpolizei. Sie hat kein Boot. Vielleicht wollen sie auch so kurz vor Feierabend keines haben. Offizielle Anweisung der Waterwaacht: Wir sollen einem vorbeifahrenden Schiff winken.
Nur ist seit einer Stunde keines vorbeigefahren. Es ist mittlerweile fünf Uhr nachmittags, die Pleizierfahrt liegt in den Marinas und Stadthäfen bei einem Bier und lässt es sich gut gehen. Morgen ist schließlich Vatertag!
Wir überlegen alle schon heimlich fieberhaft, wie wir die Nacht sicher dort verbringen könnten. Leid tut uns allen Skipper. Der müsste dringend an Land…
Und dann haben wir doch noch Glück: Es kommt nicht nur eine Motoryacht vorbei, sondern auch noch eine mit einem Kapitän, der weiß, was er tut. Er schleppt uns nach Wanssum, löst die Leine im richtigen Moment, sodass wir mit der Restgeschwindigkeit genau an den Steg kommen.
Gut, der liegt zwar nicht in der Marina, sondern beim Yachtbrooker davor am Ende des Containerhafens, aber für die Nacht sind wir sicher. Skipper kann von Bord und auf eine Wiese. Dazu müssen wir zwar über die Badeplatform eines anderen Schiffes, aber es geht. Ein Glück.
Einen Kran haben die hier auch. Wenn wir noch mehr Glück haben, kann Anette das Schiff per LKW nach Monnickendam bringen lassen. Vertrauen haben wir jetzt keines mehr. Da wir bis dahin nicht hier rumhängen wollen, macht Tomy eine Vatertagstour nach Amsterdam und Katwoude. In den Niederlanden fahren Bus und Züge auch an Feiertagen oft, pünktlich sind sie auch. Zum Glück.
PS: Mittlerweile ist das Schiff in Katwoude, per LKW.