Tomy rudert uns an Land. Der Außenborder funktioniert zwar wieder, wir sind aber zu bequem ihn anzubringen. Wir machen das Dinghi am großen Poller bei dem Fischrestaurant fest. Am Strand, dort wo ich an dem gestrigen trüben Tag kleines, aber feines Seaglass gefunden habe, ist heute die Hölle los: Halb Lerici scheint sich dort zu sonnen. Wir reservieren noch schnell einen Tisch für den Abend, dann erkunden wir den Ort.
Rechts des Restaurants ist eine dunkle Öffnung im Fels. Tomy schaudert kurz: Uh, ein dunkler Tunnel!
Doch 10 Schritte weiter und um die Ecke weitet er sich zu einem großen Gewölbe: Staunend stehen wir in einem Bunker! 2500 Einwohner von Lerici fanden hier in den letzten Kriegstagen Schutz vor den Bomben der Alliierten. Heute lagert der Kanuverleih seine Kanus dort drinnen. Touristen und Einwohner freuen sich, dass sie ganz schnell am Strand oder von dort im Ort sind.
Wenige Meter weiter wären wir am Hafen mit seinen Fischerbooten, der Marina und den Segel- und Motorbooten der Einheimischen. Die Fischhalle läge dann gleich hinter uns. Samstagvormittags wäre rechts davon auch ein kleiner Markt mit Obst, Gemüse, einem Bäcker und einer Hähnchenbude.
Wir aber nehmen den Aufzug, der in dem Tunnel hinauf zur Burg führt, die hoch über Lerici thront. Sie war in der Geschichte Europas nicht ganz unbedeutend: Andrea Doria, der genuesische Admiral, versteckte sich in ihr, nachdem er sich von den Franzosen abgewandt und Karl V zugewandt hatte. Die Franzosen wollten ihn gefangen nehmen, konnten aber ihre Kanonen nicht hoch genug aufrichten, um die Burg zu treffen. So konnte er später zum Beispiel die Türken unter Süleyman I in Griechenland besiegen, was wiederum Folgen für Wien hatte: Sie verhinderte eine weitere Belagerung durch die Türken direkt nach der ersten. Es glaube keiner, dass die Welt nicht schon früher global war!
Die Burg öffnet erst um 18:00, also gehen wir durch die kleinen, feuchten Gassen hinunter zum Hauptplatz.
Schön hier…
Sehr schön hier…
Wie oft haben wir das am Ende des Tages gesagt? Lerici hat was, es gefällt uns. Die Häuser am Platz sind hübsch verziert, es überwiegen die Ocker- und Grüntöne. Rund um den Platz sind Restaurants mit einladend und liebevoll gedeckten Tischen. Es ist wirklich schön in Lerici!
Wir gönnen uns erst mal ein Bier vom Fass und ein Focaccia mit Anchovies aus der kleinen Focaccaria neben den Tabakwaren. Gegenüber ist eine hübsche kleine Kirche mit überraschend wenig Göttin darin…
Ein Marienbild finde ich trotzdem und zünde meine üblichen drei Kerzen an: Eine für die, die vor uns waren, Papa, der Kirchen nur von außen besichtigte, meine Schwester Inge, unseren Schwager Thomas, Tomys Cousine Andrea und für Iain, die alle viel zu früh auf die andere Seite gingen, Tomys Mutter, unsere Großeltern und die ungeborenen Kinder, die nicht in diesen chaotischen Familien groß werden wollten. Eine für uns, für Tomy und mich, als Dankbarkeit für unsere Liebe und unseren Wohlstand, für den Segen jetzt und in Zukunft. Und eine, für die, die nach uns kommen: Unsere Kinder und Kindeskinder, damit sie Liebe, Frieden und Freiheit leben und gedeihen können.
Danach gehen wir die schmale Gasse hinauf zum Supermarkt. Kurz davor öffnet sich links eine Galleria oder ein Durchgang. Kühle Luft strömt uns entgegen, so schauen wir neugierig hinein. Und stehen wieder in einem Bunker! Schautafeln an den Wänden informieren über die Geschichte, die Errichtung und die Einrichtungen in dem Bauwerk. 2100 Menschen mussten hier im Notfall mit Wasser, Luft und Nahrungsmitteln versorgt werden, auch eine Krankenstation oder Erste-Hilfe Station gab es. Nein, nicht nur im Notfall: Ganze Familien lebten unter schlechten hygienischen Bedingungen darin, weil ihre Häuser unbewohnbar waren.
Ich bin jetzt wütend: In keinem meiner Führer, auch nicht in Wikipedia, sind diese beiden Bunker in Lerici (und auch nicht die anderen in der Gegend) erwähnt! Über jeden uralten Stein, jede noch so unbedeutende Kirche wird palavert, aber Zeitgeschichte? Grandiose Bauwerke aus der unmittelbaren Vergangenheit, die sicher ebenso beeindruckend und wichtig für die Stadt waren, wie diese trutzige Festung der Genuesen? Nicht vorhanden! Aufarbeitung der Geschichte? Hmm…
Wir verlassen den Bunker auf der anderen Seite und gehen am Strand zurück. Einen der nächsten Tage werden wir hinüber nach San Terenzo spazieren, aber heute wollen wir auf die Burg. Wir gehen wieder zu Fuß hinauf. Die Burg wirkt ebenfalls wie ein Bunker: Kein Fenster ist in ihr, zumindest nicht nach außen hin. Sie hatte wohl mal einen Innenhof, der heute überdacht ist und als Austellungsraum dient: Ist sehr gut gemacht und hat den Vorteil, dass wir keinen Eintritt bezahlen müssen. Von den zahlreichen Zinnen und Aussichtspunkten haben wir einen tollen Überblick über das von der Abendsonne beleuchtete Lerici: Sehr schön!
Auch unsere Bucht gleich unterhalb der Burg ist warm beleuchtet: Wirklich schön!
Hab‘ ich schon erwähnt, dass Schön, das geflügelte Wort des Tages war?
Diesmal nehmen wir die Treppen hinunter zum Restaurant Ciccillo. Wir sind noch früh dran, also trinken wir noch ein Bier an der Bar, bevor uns der Kellner zum Tisch am anderen Ende des hübschen Restaurants führt. Ich will unbedingt ein Foto durchs Rotweinglas von unserem Schiff machen: Klappt nicht so besonders, dafür landet der Rotwein auf meinem Rock und das Olivenöl der Vorspeise auf meinem Shirt. Erstklassiges Olivenöl wohlgemerkt, drunter lohnt es sich nicht, ein Hemd zu versauen! Der Rotwein wird in dem Muster des Rocks nicht auffallen, deshalb darf es auch Hauswein sein.
Das Essen ist lecker, das blutjunge, nette Pärchen am Nebentisch erinnert mich an meinem Großneffen. Sie freuen sich, dass Tomy ein Foto von ihnen und ihren Meeresfrüchtespagetti macht, Selfie hätte das nicht hergegeben! Uns schmeckt es auch sehr gut dort.
Am Ende des Abends frage ich mich nur noch: Wo bekomme ich alte Bojen her? Denn daraus sind die Lampen in dem Restaurant gemacht. Schön ist das. Wie es hier in Lerici überhaupt sehr schön ist.
Restaurant Ciccillo – Burg mit Aufzug – über Treppen zum Platz Garibaldi – kleine Gasse hinauf zum Supermarkt – links durch die Galleria/den Bunker – links zum Strand – Platz Garibali – über Treppen zur Burg – Burg – Treppen zum Restaurant: ~ 4500 Schritte, 3 km
Laufen oder Joggen mögen meine Füße nicht, also gehe ich. 30km in der Woche sind mein Ziel, am liebsten über Stock und Stein. Das ist weniger, als die von den Krankenkassen propagierten 10000 Schritte am Tag, aber das, was angeblich unsere Vorfahren in einer Woche zurücklegten
Gehen ist eine Kolumne die jeden Samstag in der Freizeit-Beilage des Kurier erscheint, rund 500 Wörter kurz, mal mehr, mal weniger informativ und persönlich. Mir gefällt sie! Nicht, dass ich an die Qualität der Schreibe von Herrn Christian Seiler herankomme, als Inspiration für kurze Beiträge möchte ich sie dennoch nutzen.
Update am 26. September 2020
Der Beitrag nimmt teil an der Blogparade über Geheimtipps Italien von wandernd.de, übrigens ein ausgezeichneter Blog für alle Italien- und Geschichtsliebhaber!
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INFO Lerici
Ankern in der kleinen Bucht neben der Burg. Am Wochenende und tagsüber ist es in der Saison sehr voll, aber spätestens und 19:00 verlassen die Italiener die Ankerplätze. Dann bist du meist alleine dort!
Einkaufen: Markt am Samstag, Supermarkt Comrad 600m durch den Tunnel vom Restaurant
Ausflüge nach Portovenere mit der Fähre oder Tellaro mit dem Bus, beides gegenüber an der Piazza Garibaldi/Strand.
Wandern: Es gibt Wanderwege nach Tellaro und die Dörfer in der Umgebung
Essen: Restaurant Ciccollo in der Bucht hinter der Burg – schmeckt!
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