Segeln mit Yemanja

Lieblingstradition: Christbaum

Kein Christbaum, kein Weihnachten. So einfach ist das bei mir. Dabei ist Christbaum keineswegs Christbaum. Damit er in meinen Augen Gnade findet, muss er drei Bedingungen erfüllen:

  1. Er muss echt sein, künstlich zählt nicht.
  2. Er muss groß sein, also mindestens in eine Kathedrale passen. Dass mein Wohnzimmer keine Kathedrale ist, ist dabei zu vernachlässigen.
  3. Es müssen echte Kerzen dran. Wenigstens an Heilig-Abend und für 10 Minuten müssen sie brennen, das reicht. An all den anderen Tagen darf er in künstlichem Lichterglanz strahlen.

Nachdem das in den Tropen oder im Sommer nicht funktioniert, ist dann da auch kein Weihnachten für mich, auch wenn ununterbrochen „White Christmas“ aus den Lautsprechern der Strandbar schallt. Und weil ich Weihnachten liebe, bin ich dieses Jahr zu Hause, endlich wieder mit einem Baum voller Herzen!

Der diesjährige Baum

Weihnachten – der Baum – ist für mich ein ganz zentraler Familienanker. Als ich vor über 37 Jahren von Österreich nach Deutschland zog, da hatte ich ganz schön mit den kulturellen Unterschieden zu kämpfen. Ja, richtig gelesen: Obwohl beide Länder einem Kulturraum angehören, gibt es doch genügend Unterschiede, um von einem Kulturschock zu sprechen. Das kann aber auch einfach an den beiden Familien gelegen haben, deren Vorstellungen vom Leben doch sehr verschieden waren. Oder an meinem Heimweh. An meiner Angst, meinen Kindern meine Werte, Traditionen oder das, was ich an meiner Jugendzeit so gemocht hatte, nicht weitergeben zu können. Irgendwann habe ich verstanden, dass sie mit anderen Traditionen aufwachsen werden als ich, aber genauso viel Freude daran haben werden, wie ich an meinen. Freude – das sollten sie haben, wie, damit konnte ich Kompromisse eingehen.

Aber nicht mit dem Christbaum.

Woran das liegt? Ich weiß es nicht. Dunkel erinnere ich mich, dass meine Eltern großen Wert auf einen großen Christbaum gelegt hatten. Er nahm immer das halbe Wohnzimmer ein. Bis heute weiß ich nicht, wer ihn aufstellte, aber meine Eltern schmückten ihn gemeinsam. Bunte Glaskugeln hingen daran, jede Menge silbernes Lametta und Zuckerln. Und natürlich Kerzen.

Schon Anfang Dezember kaufte meine Mutter eine ganz bestimmte Bonboniere, deren Pralinen wir abends erst in fransiges Papier und dann in Staniolpapier – dünne Alufolie – wickelten. Dem Christkind helfen, hieß das. Eine Sorte dieser Pralinen war ein Nougatwürfel – mein Bruder und ich waren Experten darin, diesen trotz der Verpackung zu erkennen und vorzeitig vom Baum zu rauben. Denn essen durften wir die Leckereien erst ab 6. Januar. Bis dahin waren die besten Stücke längst fort, wobei mein Bruder einen großen Vorteil hatte: 12 Jahre älter und soooo viel größer als ich kam er auch an die hochhängenden Schätze!

Kindheitserinnerungen: Das gefranste sind die Zuckerln, waren ganz schön viele!

Mein Baum in der neuen Heimat musste natürlich genauso aussehen wie einst daheim, mit bunten Glaskugeln und Lametta, das jedes Jahr wiederverwendet wurde. Je älter und krakeliger es war, umso schöner schillerte es. Allerdings verzichtete ich auf die Pralinen – meine Kinder sollten zuckerfrei aufwachsen. Die Süßigkeiten am Baum haben ihnen auch nie gefehlt, kannten sie es ja auch nicht anders. Interessanterweise änderte sich der Baum, als mein Vater starb: Ich hängte nur mehr rote und goldene Kugeln auf, später nur mehr rote, das Lametta verschwand, Schleifen traten an ihre Stelle.

Noch mit Schleifen und Lametta

Irgendwann sah ich in einer Zeitschrift einen Christbaum, nur mit roten Herzen behangen. Seitdem sammle ich Christbaumkugeln in Herzform. Manche Jahre waren die so wenig modern, dass ich Herzen in allen möglichen Materialien und Ausführungen kaufte, nur damit der Bestand wuchs. Dann kam eine Zeit, da waren sie so in, dass ich gar nicht alle kaufen konnte, ohne ein finanzielles Desaster zu riskieren! Heute sind es so viele, dass ich gar nicht mehr alle aufhängen kann. Wenn dann das kleine Engelchen ein Herz beim Schmücken zerbricht – dann bekommt es einen Ehrenplatz! Das Herz, nicht das Kind!

Unter dem Baum liegt übrigens ein Patchwork-Stern, den ich in der Rote-Kugeln Phase genäht habe.

Jetzt, wo ich das schreibe, neben mir der Baum in voller Pracht, denke ich, vielleicht ist der Christbaum so wichtig für mich, weil er für meine Eltern, ähnlich wie für mich, ein Stück Heimat war. Als Heimatvertriebene mussten sie sich in der Fremde ein neues Heim aufbauen. Alles war anders, die Freunde, die  Familie in alle Winde verstreut oder für immer verloren, die Traditionen, die Rituale weg, die Verbundenheit – weg, alles was Halt gab – weg. Vielleicht war ein Weihnachtsbaum, geschmückt wie einst daheim, etwas, das ihnen Trost und Hoffnung gab. So wie mir, viele Jahre später, auch in der Fremde…

Ich denke auch an die Menschen, die aus der Fremde kommend, hier ein neues Zuhause finden. Wir fordern immer Integration von ihnen. Verdammt, wisst ihr eigentlich, wie schwer es ist, sich ohne den Rahmen der Werte, Traditionen, der Liebe, der Freude, der im bisherigen Leben Sicherheit, Orientierung und Lebensfreude gegeben hat, zurechtzufinden? Wieviel Angst man hat, dass man seinen Kindern keinen Rahmen geben kann, der zu einem erfüllten Leben führt? Wie orientierungslos man in der Fremde, in der man bleiben muss, ist?

Habt ein wenig Verständnis, mit euch und mit jenen Menschen, die hier eine neue Heimat finden wollen, helft ihnen liebevoll ihren Rahmen so zu verändern, dass er hier funktioniert: Erfüllung und Glück kann auf viele Arten gefunden werden, nicht nur auf die gewohnte, nicht nur auf unsere, nicht nur auf eine bestimmte! Das zu begreifen braucht Selbstreflexion und Zeit – und manchmal einen Baum.

Frohe Weihnachten!

PS: Heute darf es auch schon mal ein alternativer Baum sein:

Als ich zu schreiben begann, hatte ich einen ganz anderen Inhalt im Kopf: Woher die Tradtition des Christbaumes stammt und wie er nach Österreich kam – beides kannst du auf Wikipedia nachlesen. Oder wie die Gurke an den Baum kommt – das kannst du auf LebenindenUSA  lesen, zum Adventkalender geht es hier.

Attention, Tännchen und Lieblingstradition sind die Themen der letzten beiden Tage beim Adventkränzchen von Marie Theres Schindler.

Anita runningmami

Marco erzählt eine witzige und fast wahre Tannenbaumgeschichte: 366geschichten

Kerstin  altmuehltaltipps

Anika erzählt auch aus ihrer Kindheit, wie es war, als das Christkind kam: wanderingmind.de

 

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