Die Sargasso-See heißt so, weil dort Sargassum-Algen herumschwimmen. Außerdem laichen dort die Aale. Das ist alles, das ich wusste, bevor wir durch ganze Teppiche dieser Algen auf unserem Weg von den Kap Verden nach Brasilien segelten. Damals waren sie nur lästig, weil wir dadurch nicht fischen konnten – was Tomy allerdings ganz recht war, denn er weigert sich bis heute standhaft, die Angel auszuwerfen.
Irgendwann waren die Algen weg.
Seit Martinique sieht das anders aus: Sargassum ist uns mal mehr, mal weniger lästig, für die Karibik selbst allerdings entwickelt sich die Golftange mehr und mehr zu einem Fluch:
Zum ersten Mal nach den Kap Verden begegnete sie uns in einer Empfehlung: Die Ostküste von Martinique wäre wild und schön, allerdings schwemmt es dort auch viele Algen an, sodass es in manchen Orten ziemlich stinkt. Gut, das bemerkten wir bei unserem Besuch dort nicht, doch auf der Wanderung um Grande-Macabou fielen sie uns auch auf: Die wunderschönen Strände waren voll davon. Immer wieder trafen wir Schnorchler und Schwimmer, die offensichtlich einen Zugang ins Wasser suchten, doch nein, ein breiter Streifen Sargassum verleidete die Lust zum Schwimmen.
Immer öfter fielen sie uns jetzt am Ankerplatz und auf See ins Auge. In den Iles des Saintes tanzten mir einzelne Algen beim Schnorcheln vor den Augen – und das in einer vom Osten her geschützten Bucht. Sie sind hart und kratzig, wenn sie dich beim Schwimmen berühren. Auch am schönen Strand von Pompierre hatte die Strandreinigung Berge von Sargassum aufgetürmt und beseitigte es mit Lastwägen.
Endgültig neugierig auf diese bräunlichen Algen wurde ich in Marie Galante: Ich hatte mich aufs Schorcheln vor Capesterre gefreut. Doch hinter dem Riff schwamm ein breiter Algenteppich. Ein unerträglicher Geruch wabberte durch die Straßen des kleinen Ortes: Wenn die Algen verrotten, entstehen Schwefeldämpfe, die Metall schwärzen und teilweise auch Atemprobleme verursachen. Auch YEMANJA lag bei unserer Rückkehr von dem Landausflug in einem Algenteppich.
Woher kommen diese Algen, die die Strände der Karibik verseuchen, nur? Und wieso habe ich noch nie von ihnen gehört, zumindest nicht in Zusammenhang mit der Karibik?
Weil sie hier – fast – neu sind.
Sargassum kommt weltweit in den tropischen und temperierten Meeren vor. Die meisten Arten leben festgewachsen an Steinen oder dem Meeresgrund. Doch zwei Arten, Sargassum natans und Sargassum fluitans, treiben frei an der Wasseroberfläche, hauptsächlich – na, wo wohl?
Richtig, in der Sargassosee, der einzigen See, die keine Küste hat. Sie ist für den Nordatlantik ungewöhnlich warm und Heim und Kinderstube vieler Meeresbewohner, etwa Walen, Thunfischen oder Schildkröten, die in den Algenmatten Nahrung und Schutz finden.
Ihre Grenzen bilden der Golfstrom, der Kanarenstrom, der nordatlantische Strom und die nordatlantische Äquatorialströmung. Sie ist etwa 1100 Kilometer breit und 3200 Kilometer lang und bildet durch die Strömungen an ihrem Rand einen gigantischen Meeresstrudel, der sich im Uhrzeigersinn bewegt. Bermuda liegt an ihrem westlichen Ende.
Wenn du jetzt auf eine Karte schaust, wirst du dich fragen: Bermuda ist aber ziemlich nördlich der Karibik, wie kommen diese Unmengen von Sargassum dann dorthin?
Darüber sind sich die Wissenschaftler nicht einig. Manche gehen davon aus, dass die Klimaerwärmung die Temperatur und die Strömungen des Meeres verändert hat. So kommt es einerseits zu einer Algenblüte, andrerseits zum Anschwemmen in der Karibik.
Andere Wissenschaftler glauben, dass die Algen in der Karibik gar nicht aus der Sargossasee kommen, sondern durch den erhöhten Nähr- und Schadstoffgehalt von Amazonas und Orinocco bedingt sind. Diese Annahme scheint sich nach neueren Meldungen zu bestätigen. Fest steht, dass die Algenteppiche in der Sagossasee immer größer werden und mittlerweile auch die afrikanische Küste erreichen.
Ich kann mir auch vorstellen, dass die Erde letztendlich ein sich selbst regulierendes System ist: Wenn wir die Wälder, die Sauerstoff erzeugen abholzen, gleicht sie das eben mit vermehrten Algenwachstum aus.
Wie auch immer, Blüten von Sargassum gab es in der Karibik schon immer. Gelegentlich. Seit 2011 jedoch entwickeln sich die Algen mehr und mehr zu einem Fluch: Die weißen, palmengschmückten Traumstränden gehen nicht mehr nahtlos in türkisfarbenes Wasser über, nein, es liegt ein goldbrauner Algenstreifen dazwischen. Wenn es wenig ist, wird er zusammengefegt und verbrannt, wenn es viel ist, verrottet er stinkend bis er auf LKWs geladen und weggeschafft wird. So entwickeln sich die Algen mehr und mehr zu einer Bedrohung des Tourismus und der Wirtschaft der Karibikanrainer. Sie sind der moderne Fluch der Karibik, der den zarten, aufkeimenden Wohlstand oder einfach nur das Überleben der Menschen in Frage stellt, neben Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis und Stürmen.
Auch für die Lebewesen im Meer stellen die Algen eine Bedrohung dar. Frisch geschlüpfte Schildkröten zum Beispiel können sich darin verfangen. Auch die Reinigung der Strände stellt einen großen Eingriff in ihr Ökosystem dar.
Und viele Atlantiküberquerer berichteten in diesem Jahr von den großen Algenteppichen. Die meisten störte, dass sie dadurch nicht angeln konnten. Einer berichtete, dass sie sich im Propeller verfangen hätten. Und auch ich empfand sie bei unserem versuchten Rücktörn als Bedrohung: Sie wickelten sich um das Ruder der Windsteueranlage, oder hoben das Pendelruder aus dem Wasser.
Auch wenn kaum ein Strand zwischen Tobago und Mexiko sicher vor dem Überfall der Algen ist – es gibt immer noch Strände, die von ihnen verschont bleiben. Oder vielleicht sind es auch Zeiten: Im Winter, zwischen Grenada und Martinique sahen wir keine einzige Alge. Auch Wind und Strömungen spielen eine Rolle: Die Strände im Westen der Inseln sind kaum betroffen.
Außerdem ist die Karibik auch abseits der Strände schön. Oder auch noch schöner: Im Regenwald leben Papageien, Wasser fällt romantisch in Becken, in denen du schwimmen kannst, es gibt heiße Quellen, faszinierende Schluchten, exotische Blüten, viele Wandermöglichkeiten, traumhafte Riffe, Wale und Delfine. Und es gibt dort wunderbare, fröhliche Menschen mit unglaublichen Mut und Überlebenswillen. Sie tun alles, was in ihrer Macht steht, um ihre Strände sauber zu halten. Zumindest die, die Touristen sehen.
An den anderen ist Müll das größere Problem.
Und wer weiß, vielleicht ist die Algenblüte nächstes Jahr schon wieder vorbei!
Ein aktueller Link zu einem Artikel im Spiegel (11.11.19)
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