Die Möwen in Antigua lachen sich kaputt über mein Anlegemanöver. Also Tomy legt an, ich muss nur die Leinen überwerfen. So schlecht mache ich das gar nicht, die Möwen lachen trotzdem. Was daran bemerkenswert ist? Möwen und See gehören an Europas Küsten zueinander, sind aber nicht in den Tropen: Es sind die ersten Möwen, die wir seit über drei Jahren sehen.
Das Einklarieren in Jolly Harbour dauert etwas, ist aber völlig problemlos. Da es schon halb vier ist, also kurz vor Büroschluss, und hinter uns keiner mehr kommt, dürfen wir die Nacht am Steg der Zollbehörde liegen bleiben. Direkt daneben ist eine gute Pizzeria mit einer netten, holländischen Kellnerin und toller Lifemusik. Eh nur bis 23:00 oder so…
Am nächsten Tag fahren wir in die Bucht zum Ankern und stellen fest: In Jolly Harbour gibt es nicht nur Möwen wie in Holland, nein, es sieht auch noch aus wie in Roermond. Schwimmende Reihenhäuschen mit Schiffen davor stehen in der flachen Lagune.
Draußen ist das Wasser wunderbar türkisfarben, aber trüb, mit Schnorcheln ist nichts. Dafür gibt es dort kaum Moskitos. An Land fährt wie in den guten alten Zeiten in Spanien und Jugoslawien eine Vergasungskanone herum – ein verzweifelter Versuch der Mücken und mit ihnen Dengue, Zika und Co. Herr zu werden. Nun ja, was kannst du schon erwarten, wenn du eine Marina mit Wohnanlage an einem Ort baust, der Moskito Cove heißt?
Der eine oder andere mag jetzt fragen: Wieso seid ihr in Jolly Harbour und nicht im berühmtesten und schönsten Hafen der Karibik, in English Harbour?
Nun, dort findet gerade die Antigua Classic Week statt und wir dachten, da wäre vielleicht zu wenig Platz.
Aber natürlich können wir uns das alles nicht entgehen lassen, also nehmen wir den Bus. Fazit des Tages: So traumhaft schön English Harbour ist, so nichtssagend ist Antigua im Inselinneren. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Zweithausbesitzern, Seglern, Touristen und Bewohnern ist auf keiner anderen Insel so groß, wie hier. Nirgendwo fallen und Müll und Verwahrlosung so sehr ins Auge wie hier. Soll heißen: Ich tu mir schwer mit Antigua! Wenn das hier nicht DER Ausgangspunkt für den Atlantik-Retour-Törn wäre, wüsste ich nicht, wozu herkommen.
Na gut, da sind die Antigua Race Week und die Antigua Classic Week, die inoffizielle Weltmeisterschaft der klassischen Jachten. Wir können also wenigstens schöne Schifferln schauen. Die sind schon beeindruckend! Schön sind sie, poliert, bis sie spiegeln, aus wunderschönem Holz, mit riesigen Winschen und Messingbeschlägen.
Wir gehen die Stege ab und staunen.
Lachen muss ich über das Schiff mit der unübersehbaren österreichischen Flagge drauf. Ein Schiff aus einem Binnenland, die Heimat des längsten deutschen Wortes, Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänspatent, was tut das denn hier?
Das Lachen vergeht mir ein paar Tage später, als ich im Internet recherchiere: Die MARY ROSE, gebaut von der amerikanischen Werft Herreshoff, ist eine der erfolgreichsten Yachten der Antigua Classic Week der letzten 10 Jahre, wenn sie nicht die erfolgreichste überhaupt ist! Gerald Rainer, ein Vermögensberater vom Traunsee, jetzt in der Schweiz lebend, ist der Eigner. Bei seiner ersten Teilnahme vor 10 Jahren wurde er letzter und ausgelacht. Die Zeiten sind vorbei!
Wir beobachten eine Regatta von der Anhöhe von Nelson’s Dockyard aus. Die Anlage ist vom Feinsten. Die historischen Gebäude sind gut renoviert und heute Heim von exklusiven Restaurants (erkennbar am Wasser, das in Flaschen aus Italien kommt), Hotels, der Marina mit diversen Services. Paar Ruinen gibt es auch noch. Ich bin beruhigt, kann ich mir doch jetzt wirklich gut vorstellen, dass es irgendwo in der Karibik nicht nur Hexenhäuser, Piratenkaschemmen und Inseln mit Rumverstecken gegeben hat, nein, auch ein Fort, von dessen Mauern aus die unwillige und erstickende Braut in die Brandung fiel. Und ja, da gegenüber könnte auch der Galgen gestanden sein, an dem die Piraten aufgehängt wurden…
Nelson’s Dockyard war durch seine Lage uneinnehmbar. Deshalb ist Antigua die einzige karibische Insel, die nie ihren Beherrscher gewechselt hat: Sie ist immer noch solide britisch, zumindest was die Gebäude angeht. Das Verspielte, die Spitzendeckerln an den Giebeln fehlen völlig. Auch die Menschen, obwohl afrikanischer Abstammung, sind eher britisch unterkühlt, höflich und korrekt, das ja. Nur das Lächeln fehlt vielen. Dafür ist die Marina in Jolly Harbour die bestorganisierte in der ganzen östlichen Karibik!
Der berühmte General Nelson, der von der Schlacht von Trafalgar, verbrachte in Nelson’s Dockyard einige Jahre, nach ihm ist die Anlage benannt. Er hatte vielleicht einen landschaftlich schönen, aber keinen angenehmen Arbeitsplatz: Moskitos, Malaria, Hitze, Krankheiten und Gestank müssen unerträglich gewesen sein. Man fand Massengräber mit hunderten Toten, alle höchstens Mitte 30, alle Opfer von Seuchen. Den Gestank mag ich mir gar nicht vorstellen – die Kanäle riechen in der Karibik nirgendwo angenehm!
Aber manchmal duftet es nach Jasmin. Wenn mir etwas wirklich in Antigua gefällt, dann sind es die Pflanzen. Während die Männer die alten Yachten verfolgen, entdecke ich eine mir unbekannte Blüte oder faszinierende Pflanze nach der anderen. In Jolly Harbour stehen Bäume mit Blüten, die von ganz oben herunterhängen und Samen wie Keulen haben. Ich würde so gerne eine Blüte fotografieren, doch obwohl ich mehrmals am Tag vorbeigehe und die Knospen beobachte, nie ist eine offen. Nur am Boden liegen morgens die rosenroten Blüten, als ob sie ein Blumenmädchen für eine nächtliche Braut dahin gestreut hätte.
Ich bin‘s nicht – ich schlafe um halb neun!
Auch ein Ausflug nach Deep Bay darf nicht fehlen: In ihrer Mitte liegt ein versunkener Kohlendampfer, gleich unter der Oberfläche, der Mast steht noch raus. Ich freue mich aufs Schnorcheln: mein erstes Wrack! Sobald wir sicher sind, dass der Anker hält, stürze ich mich in die Fluten. Gut das stimmt so nicht, ich klettere eher ungelenk über die Reling, die Badeleiter hinunter, lasse mir von Tomy die Schwimmflossen anreichen, schlucke Wasser beim Anziehen und wundere mich, wieso ich unter Wasser nicht atmen kann. Ah – das Mundstück des Schnorchels sollte noch zwischen die Zähne… Einfach reinspringen – niemals!
Auch Tomy ist neugierig aufs Wrack. Dummerweise ist das Wasser zwar schön blau, aber trüb. Liegt es am Wetter? An Wind und Wellen? Wie auch immer – wir sehen nicht viel.
Dafür ist Tomy mit seinen Flugkünsten über die Bucht zufrieden:
Jetzt sind wir damit beschäftigt, den Rücktransport, Flüge und Liegeplatz zu organisieren, ich arbeite an meinen kleinen Revierführern und an den Fotobüchern, ansonsten ist Liming angesagt: Rumhängen, essen, trinken, lesen, häkeln, abwarten…
INFO Antigua
Verpflegung:
In Jolly Harbour ist ein sehr gut sortierter Epicure Supermarkt, in St. John’s am Markt (täglich, samstags großer) gibt es gutes, ungekühltes Obst und Gemüse
Transport:
Minibusse fahren die meisten Strecken ab. Bushaltestelle suchen und warten, Fahrplan gibt es keinen.
Wifi:
Am besten mit lokaler SIM-Karte von Flow oder Digicel. Bei Flow bekamen wir mehr fürs Geld. Kauf nur in St. John’s möglich, aufladen praktisch überall.