Pointe-a-Pitre, auf Guadeloupe, ist nicht gerade eine Weltstadt. Doch es hat etwas, das manche große Stadt vermisst: Ein weltweit einzigartiges, großartiges Museum. Eines über die Sklaverei, die Kultur ihrer Nachfahren in der Karibik und ihre weltweiten Auswirkungen bis in die heutige Zeit: das Memorial ACTe.
Jetzt sagst du vielleicht: „Was geht mich das an? Die Karibik ist weit weg, mit Sklaven hatten wir Deutschen nie etwas zu tun, außerdem bin ich weiß.“
Irrtum.
Die Sklaven aus Afrika, die in der Neuen Welt schufteten, machten Europa reich. Die Abschaffung der Sklaverei führte zur Kolonialisierung Afrikas, deren Folgen wieder mitverantwortlich sind für die Flüchtlinge vor Europas südlicher Küste. Die Kultur der Schwarzen, vor allem ihre Musik, begeistert viele von uns. Nicht zuletzt:
Der Global Slavery Index spricht von weltweit über 40 Millionen Sklaven, davon ein viertel Kinder, im Jahre 2016! (Weitere Info hier)
Also: Wenn es einen guten Grund gibt, Guadeloupe zu besuchen, dann das Memorial ACTe!
Es ist ein eindrucksvoller, moderner Bau, errichtet auf dem Gelände einer ehemaligen Zuckerrohrfabrik. Fremd, wie ein Raumschiff wirkt es, umgeben von alten Holzhütten, verkommenen Plätzen und kleinen Werften. Der Fußweg von der Marina dahin ist nicht gerade einladend, zumindest nicht an einem Sonntag, wenn die Bars und Garküchen am Straßenrand geschlossen sind. Umso mehr versetzt dich der Bau ins Erstaunen: Der schwarze Block, in dem die Ausstellung untergebracht ist, symbolisiert die Schatztruhe des Wissens um die (eigene) Vergangenheit, die Quartz Steinchen darin, die Millionen Opfer der Sklaverei und das silberne Geflecht die Wurzeln, die von der Vergangenheit in die Zukunft führen. Neben den Ausstellungsräumen gibt es ein Konferenzzentrum, eine Veranstaltungshalle, zwei Restaurants, ein genealogisches Forschungszentrum und eine Mediathek, die Daten und Dokumente über den Sklavenhandel und die Sklaverei sammelt und erforscht. Umgeben ist das Memorial ACTe zurzeit von Kunstwerken, die aus Müll aller Art erstellt wurden, wohl um auf das Problem damit aufmerksam zu machen.
Leider dürfen wir überhaupt nichts mit hinein nehmen: Rucksack, Fotoapparat, Handtaschen und Handys müssen in Schließfächern im Eingangsbereich zurückgelassen werden. So kann ich nicht, wie sonst, Fotos von den Schautafeln machen und habe leider viel vergessen. Aber du sollst ja selbst hingehen!
Nimm dir ein Notizbuch und einen Bleistift mit! Und lass dir einen Audioguide in einer Sprache geben, die du gut verstehst – Deutsch gibt es nicht.
Gleich am Anfang erfährst du, warum Columbus die Insel Guadeloupe genannt hat: Er geriet in einen gefährlichen Sturm, er und seine Männer beteten zur Schwarzen Madonna von Guadaloupe, Nossa Senora de Guadaloupe, und gelobte, die nächste Insel nach ihr zu benennen, wenn sie gerettet würden. In Wikipedia steht dass er den Mönchen dort gelobt hat, eine Insel nach dem Wallfahrtsort zu benennen – wer weiß, vielleicht stimmt ja beides!
Weiter geht es mit vier riesigen Bildschirmen, von denen vier Schauspieler aus dem Leben von vier besonderen Schicksalen berichten, unter anderem von dem einen Afrikaner, der mit Columbus segelte.
Langsam begreife ich, dass der Audioguide ein automatisches Signal bekommt. Je nachdem, wohin ich mich wende, welchen Saal ich betrete, wechselt er die Information, fängt dabei aber nicht von vorne an, sondern stimmt sich in das Endlosband ein. Nicht immer, aber so ähnlich. Du kannst ihn jedenfalls auch ausdrehen, wenn du eine der Schautafeln lesen willst. Die sind übrigens zweisprachig, französisch und englisch.
Spätestens im nächsten Saal, überzeugt uns das Museum vollends: Gebannt, wie kleine Kinder stehen wir am Bug eines Piratenschiffes, während rund um uns auf einer Leinwand eine Schlacht um ein Schiff tobt: Piraten wollen es kapern! Hinter uns informieren Schautafeln über berühmte schwarze Piraten, wie Black Ceasar oder Blackbeard. Und wir sehen uns mitten drin!
Einen großen Teil der Ausstellung macht natürlich die Geschichte der Sklaverei aus. Sklaven gab es schon in der Antike, auch der Sklavenhandel innerhalb Afrikas hatte Tradition. Doch erst der Bedarf an Arbeitskräften in der neuen Welt, hob ihn auf ein nie gekanntes Niveau, vom Umfang und der Grausamkeit.
An der Stelle steigen mir langsam die Tränen auf. Wieviel Leid mussten diese Menschen ertragen! Wieviel muten wir ihnen heute noch zu, durch Krieg, Vertreibung, moderner Sklaverei, durch verhärtete Herzen und Angst!
Wir erfahren über das Leben der Sklaven, ihre Hierarchie, die Bestrafungen, die Behandlung. Wir gehen durch eine ihrer Hütten und durch einen kreolischen Garten: In den Gärten der Sklaven wuchs, was sie zum Gesundbleiben brauchten, Obst, Gemüse, Heilkräuter. Es gibt diese Gärten immer noch. Heute sind sie ein Vorbild eine mögliche ökologische Nutzung der Anbauflächen.
Weiter geht es mit den Maroons, den Bemühungen zur Abschaffung der Sklaverei und als das endlich geschafft war, der Wiedereinführung durch Napoleon Bonaparte. Frankreich ist das einzige Land, das die Sklaverei wieder einführte. Natürlich kam es zu Aufständen, die niedergeworfen wurden. Die Aufständischen unter Louis Delgres sprengten sich selbst in die Luft: „Frei oder tot!“
Noch einmal greift eine Schautafel das außergewöhnliche Schicksal zweier Sklaven auf. Eines davon fasziniert mich besonders: das des Angelo Soliman. Auf Grund kriegerischer Auseinandersetzungen wurde sein Stamm vernichtet. Die Sieger tauschten ihn gegen ein Pferd mit den Europäern. Als Zehnjähriger kam er nach Messina, als Geschenk für eine Marquise, die ihn erziehen ließ. 1734 wurde er dem Fürsten von Lobkowitz geschenkt und dessen Reisebegleiter und Kammerdiener. Soliman rettete ihm einmal nachweislich das Leben, was seine spätere soziale Stellung mit erklärt. 1753, nach dem Tod des Fürsten, wurde er Chef der Dienerschaft beim Fürsten von Liechtenstein. Der entließ ihn zwar wegen einer unerlaubten Heirat, doch sein Nachfolger stellte ihn als Prinzenerzieher wieder ein. Soliman sprach mehrere Sprachen, unter anderem Italienisch und Deutsch. Spätestens mit ihm kam er nach Wien. Dort wurde er zu einem angesehenen Mann. Er trat der Freimaurerloge Zur wahren Eintracht bei, wurde Meister vom Stuhl und führte als solcher das Studium philosophischer Schriften ein, ein Brauch, der von den europäischen Logen übernommen wurde. Er initiierte vermutlich Mozart, jedenfalls traf er ihn und war mit Kaiser Franz Josef II befreundet.
Glaubt nur nicht, dass das irgendjemand in Österreich weiß! Dabei gibt es in Wien sogar einen Angelo-Soliman-Weg, bei der Löwengasse im 3. Bezirk! Seine Totenmaske ist im Rollettmuseum in Baden bei Wien, meiner Heimatstadt, ausgestellt. Ich glaube, es wird Zeit, dass ich da mal hingehe!
Ein Ausstellungssaal ist der Kultur der Rastafari gewidmet, ihrem Glauben, den Gebrauch von Marihuana und natürlich ihrer Musik, dem Reggae und Bob Marley. Lustigerweise beginnen in dem Saal alle zu tanzen…
Als Folge der Abolition kam es zur Kolonialisierung Afrikas: Um den Sklavenhandel der Araber zu unterbinden, wurde Afrika erobert – mit Folgen bis heute. Im 20. Jahrhundert entstand in den USA die Idee, die Schwarzen die Rückkehr nach Afrika zu ermöglichen. Es kam zur Gründung von Liberia. Ehrlich, hast du das gewusst? Ich nicht! Habe nie darüber nachgedacht!
Natürlich kam es in der Folge zu Konflikten zwischen den Rückkehrern und der eingeborenen Bevölkerung. Und zu einer neuen Elite…
Rassismus und den Glauben daran, dass manche Menschen anderen auf Grund ihrer Herkunft, Bildung, Hautfarbe, ihres Glaubens oder Geschlechts, anderen überlegen sind, gibt es immer noch! Und mehr Sklaven, denn je zuvor!
Noch etwas gibt es, oder besser scheint es nicht zu geben: Frauen!
Was ich in dem Museum vermisse, ist das Schicksal oder die Lebensumstände der weiblichen Sklaven, ihre Kultur, ihre spezifischen Probleme, ihr Beitrag zu Revolution, wenigstens ein besonderer Lebensweg. Eine finde ich erwähnt bei meinen nachträglichen Recherchen auf Wikipedia und auf esclavage-memoire.com: Solitude, eine der Revolutionärinnen, die den Aufstand gegen Napoleon überlebte, hochschwanger. Sie wurde erhängt. Nachdem sie ihr Kind geboren hatte…
Ist auch immer noch aktuell.
Trotz dieses Mangels: Das Memorial ACTe ist ein modernes, interessant gestaltetes und informatives Museum, eines, das seinesgleichen sucht. Nicht umsonst bekam es 2017 den Museumpreis der Europäischen Union. Geh hin, der Eintritt lohnt sich!
Ergänzt werden die Informationen von modernen Kunstwerken schwarzer Künstler, die an die afrikanische Tradition anschließen oder mit der Geschichte der Sklaverei zu tun haben.
Und natürlich gibt es noch viel mehr zu sehen und zu erfahren, als ich hier beschreibe. Ich hatte ja kein Notizbuch dabei!
Abends beobachten wir in der Marina die kleinen Motorboote, die vollbeladen, von der Oma bis zum Baby, vom Sonntagsausflug zurückkommen: Nicht ein einziger Farbiger ist darauf.
Warst du schon einmal in dem Museum? Was war dein Eindruck?
INFO Memorial ACTe Stand 2018
Eintritt 15 Euro, Personen über 65 zahlen 10 Euro. Es gibt eine Familienkarte für 2 Erwachsene und bis zu 5 Kindern für 45 Euro. Fast zu überlegen ist die Jahreskarte für 35 Euro: Nach dreimal hingehen hast du die Information vielleicht alle erfasst.
Öffnungszeiten: Die werden in jeder Broschüre anders angegeben. Sicher ist – es hat Dienstag bis Samstag in der Kernzeit von 9:00 bis 18:00 offen, samstags länger und sonntags macht es erst um 10:00 auf. Ganz wichtig: Montags ist geschlossen
Nimm ein Notizbuch mit, damit du dir wenigstens die Eckpunkte merken kannst. Taschen, Fotoapparate, etc. müssen abgegeben werden.
Vor dem Museum kann geankert werden, es gibt ein Dinghidock. Der Fußweg von der Marina ist nicht schön, aber gangbar und irgendwie auch interessant. Es gibt auch Busse, die gehen vom Kreisverkehr ab.
Und frag mich nicht, wofür ACTe steht: Ich konnte es nicht herausfinden! Es wird nirgends erklärt.
Der Artikel nimmt an der Blogparade Mein liebstes Museum in Frankreich von Cotedelangues teil.