„It changed everything, the mountains, the rivers, the villages.“
Fünf Stunden lang wütete der Hurrikan Maria. Danach war nichts mehr wie vorher. Ganze Berghänge sind jetzt kahl, ohne Bäume, viele sind abgestorben. Die Hügel hinter Portsmouth sehen aus, wie unsere Mischwälder im Winter: Ohne Laub, mit grünen Flecken dazwischen. Einige Bäume treiben wieder aus. Flüsse änderten ihren Lauf, rissen ganze Häuser ins Meer, auch Menschen, etwa 60 Tote gab es. Wäre der Sturm tagsüber gewesen, wären mehr Menschen gestorben, weil sie ins Freie gerannt und erschlagen worden wären. So versteckten sie sich in den Häusern, im Kühlschrank, unterm Bett. Rund 12000 verließen danach die Insel. Von manchen Häusern blieb nur die Toilette stehen.
Alexis, unser Führer im Indian River, erzählt, dass sein Haus zitterte wie bei einem Erdbeben. Er hätte Hurrikan-sicher gebaut, versicherte er immer wieder seinen verängstigten Kindern. Und er hatte Recht: „Alexis, you have the strongest house!“ riefen seine Nachbarn nach dem Sturm. Denn es blieb unbeschädigt.
Aus Holz ist es, aus Mahagoni und Weißer Zeder. Gelernt, Holz zu bearbeiten, hat er von seinem Großvater. Als Jugendlicher half er ihm mit der Axt und der Machete, Schindeln herzustellen, die die Wände der Hütten jahrelang dicht hielten und schützten. Die Nachfrage war groß. Als er Kind war, in den alten Zeiten, waren auch immer Leute im Wald, fingen Leguane oder Tauben, auch Schlangen. Tauben sind gesünder und schmecken besser als Hühner. Heute spielen die Kinder am Handy und im Internet rum. Schlangenfett gab man den jungen Männern, weil sie hart arbeiten mussten. Außerdem hieß es, sie würden sich danach bewegen, wie die Schlangen…
Die Franzosen kauften ganze Fässer davon.
Alexis kennt drei Zeiten: In the old days, das ist die Zeit vor ihm bis in seine Kindheit, vor dem Hurrikan und jetzt.
Before the hurricane, vor dem Hurrikan, bildeten die Äste der Bloodwoodtrees* und andere Bäume einen Himmel über dem Indian River, durch den kaum Sonne auf die Erde drang. Es war ein verwunschener Platz, der Ort an dem die Hexe Tia Dalma im Fluch der Karibik wohnte.
Vor dem Hurrikan gab es riesige Landkrabben im Uferbereich, aber sie gehen nachts auf Jagd und da kamen die Fluten und spülten sie ins Meer.
Vor dem Hurrikan gab es Kolibris, Papageien und viele andere Vögel, aber der Sturm riss die Nester von den Bäumen, brach gleich ganze Äste ab, nahm ihnen die Nahrung und verwehte die Vögel aufs Meer.
Vor dem Hurrikan schwirrte die Luft vom Summen der Bienen.
Vor dem Hurrikan lebten große Leguane und zwei Meter lange Schlangen, Boas, auf den Bäumen und ja, man konnte sie sehen.
Vor dem Hurrikan gab es Kokosnüsse in Hülle und Fülle. Die älteste Frau der Welt, die angeblich 128 Jahre alt wurde und Dominicanerin war, schob ihr Alter auf den Genuss von Kokosnüssen. Aber es wird Jahre dauern, bis es wieder genug gibt.
Vor dem Hurrikan gab es Schatten, nicht nur am Indian River, nein, auf der ganzen Insel.
Einen ganzen Monat brauchten sie, um den Fluss von abgebrochenen Ästen und umgestürzten Bäumen zu befreien und ihn wieder befahrbar zu machen. Flach ist er, nicht mehr so tief wie in den alten Zeiten. Da gab es Pools, die waren so tief, dass die Kinder Angst hatten, darin zu schwimmen, denn sie fürchteten sich vor den Nixen darin. Und jedes Pool hatte einen Namen: Den der alten Frau, die den ganzen Tag auf einem Stein an seinem Ufer saß.
Alexis klingt traurig, fast resigniert, wenn er von dem Leben vor dem Hurrikan spricht. Aber vielleicht schwingt seine Stimme mit meiner Trauer: Ich wünschte, ich wäre vor dem Hurrikan hier gewesen, hätte Papageien, Leguane, Schlangen und das Dach der Bäume gesehen, diese geheimnisvolle Welt erlebt und das Haus Tia Dalmas, die in Wahrheit Calypso/Yemanja ist, besucht.
Doch Leben geht nur Jetzt. Und jetzt ist der Indian River voller Fische, wie eh und je. Ein paar riesige Krabben sitzen vor ihren Höhlen, verstecken sich vor den Krabbenreiher, Silberreiher, Grünreiher und andere Vögel warten am Ufer. Es zwitschert um uns herum wie zu Hause im Frühling, wir sehen die kleinen Vögel nur nicht. Ein Eisvogel ruft und einzelne Äste der Bloodwoodtrees sind voller gelber Blüten. Es summt und brummt und schwirrt in ihrer Nähe: Die Bienen sind zurück. Im Unterholz blühen Helikonen, die Nahrung der Kolibris, junge Palmen sprießen und Bäume treiben aus. Eidechsen huschen durchs Unterholz. Zwischen all der Zerstörung webt die Verheißung ein festes Netz aus Zuversicht und Erneuerung.
Der Indian River ist immer noch etwas Besonderes, vielleicht mehr denn je. Er ähnelt keinen anderem tropischen Bach oder Fluss, den ich kenne. Und mittlerweile sind das ja einige. Es ist immer noch ein Ort, an dem Elfen und andere märchenhafte Wesen wohnen.
Und wir haben ihn für uns alleine: Es gibt kaum Touristen darauf. Und das macht ihn heute zu einem einmaligen Erlebnis.
Bevor der Fluss zu eng zum Paddeln wird, liegt an seinem Ufer eine kleine Buschbar. Ein Pavillon ist mit trockenem Gras gedeckt. In the old days, yes man, also in den alten Zeiten, waren alle Häuser mit diesem Gras gedeckt. Es war absolut wasserdicht, hielt viele Jahre und darunter war es kühl. Ratten mochten die Dächer auch, so kam es, dass es auch öfter mal Schlangen im Haus gab: Ohne Schlangen gibt es eine Rattenplage. Deshalb darf man sie heute auch nicht mehr jagen, die Schlangen nicht, die Ratten schon. Später, aber immer noch in den alten Zeiten, baute man Häuser mit Wänden und legte eben jene Schindeln davor, die Alexis mit seinem Großvater hergestellt hatte.
Hinter der Bar ist ein Garten, in dem wächst, was die Vegetation auf Dominica Nützliches hergibt: Aus den Blüten des Hibiskus wird Tee gemacht, mit den Blätter wäscht frau sich die Haare, ebenso mit einer Flüssigkeit, die aus bestimmten Blüten kommt. Mit der Tieplant-Verbandpflanze kann man sich verbinden, wenn er sich am Feld geschnitten hat. Mimosen, die die sich beim Berühren zusammenziehen, wirken – wer hätte es gedacht – wie Viagra. Alpinias oder Gingerlilies legt man mit anderen Pflanzen in Rum ein, dann wirken sie gegen Magenbeschwerden und Seekrankheit.
Dominica ist die Sich-Selbsterhaltende Insel: Die Natur versorgt den Menschen dort mit allem, was er zum Leben braucht. Zumindest war das so – In the old days, yes man.
Ob wir Ganja rauchen, fragt der junge Mann an der Bar. Die finnische Familie hat keine Ahnung wovon er spricht: Gras, Hasch, Marihuana. (Ich weiß das auch nur, weil einer meiner Schwiegersöhne ein großer Reggae-Fan ist) Diese Bar, sagt er, der junge Mann, wäre der beste Ort dafür: Sie ist weit genug von der Zivilisation entfernt, hier riecht es keiner. Obwohl du heutzutage auch in der Stadt einen Joint rauchen könntest, dafür kommt heute keiner mehr ins Gefängnis. Nur verkaufen darfst du es nicht.
Was er natürlich auch nicht tut.
Also nur damit das klar ist, falls du mal da vorbei kommst.
Der Rum-Kokospunsch schmeckt dort auch.
Es gäbe noch mehr zum Erzählen, sagenhafte Geschichten um den Hurrikan, oder Klagen über den Müll: Während uns das Landesinnere recht sauber erschien, so schert sich in Portsmouth niemand um den Abfall: Am Strand liegen die Bierflaschen, neben der Straße zum Fort Shirley türmt sich der Abfall, in die Abflusskanäle und damit ins Meer verschwindet, was gerade fallen gelassen wurde: Colaflaschen, Styroporbehälter, Verpackungen. Da ist noch viel zu tun!
Es ist seltsam: Ich mache schon seit Jahren die Beobachtung, dass dort, wo die Natur besonders unberührt und betörend schön ist, auch das größte Müllproblem herrscht.
Fort Shirley, hoch über der Prince Rupert Bay gelegen, ist eines des besten renovierten Forts in der Karibik, auch mit informativen Tafeln. Hinter dem Namensgeber der Bucht versteckt sich Ruprecht von der Pfalz, ein in vielen Armeen sehr umtriebiger Herr. Unter anderem war er auch Pirat im Namen der Royalisten und Gouverneur der Hudson‘s Bay Company mit Monopol auf Kanadas Pelzhandel.
Die Cabrits haben wir ausgelassen, zu viel Wald erschien zerstört. Viele Trails und Pfade sind auch immer noch nicht offen, geben das Reservat der Kalinago, der Ureinwohner, entschieden wir uns bewusst. Ich mochte sie nicht begaffen, auch wenn sie unser Geld dringend brauchen. Vielleicht haben wir etwas versäumt.
Doch Dominica ist bisher die einzige Insel, die ich noch mal sehen möchte, in der Zeit, die kommt, wenn sich die Natur gewandelt, aber erholt hat: Zum Wandern; zum Canyoing; in einem Indian River mit Blätterdach; Papageien und Kolibris und Wale beobachten; zu den Wasserfällen und dem Boiling Lake; in romantische Lodges im Regenwald und kleine Bars am Strand. Und in die Gärten: Vor dem Hurrikan gab es sogar eine Blumenshow oder Gartenausstellung. Irgendwann kommt die wieder.
Ich auch.
Zu den Eindrücken von Roseau, Trafalgar Falls und Titou Gorge geht es hier.
INFO Portsmouth – Indian River
Portsmouth hat mit der Prince Rupert Bay ist sicher die schönere und angenehmere Bucht zum Verweilen als Roseau. Man kann sicher auch Trafalgar Falls und Titou Gorge von Portsmouth aus machen, aber die längeren Wanderungen, wie Boiling Lake, nicht.
PAYS, die Organisation der Führer und Boatboys dort, haben etwa 35 Moorings ausliegen, man kann auch ankern. Sie bieten auch die Touren an, Indian River zum gleichen Preis (50 EC plus Eintritt, 5 US$ pro Person oder Wochenpass für 12US$, gilt auch für Trafalgar, Titou Gorge und Cabrits) wie die Guides direkt am Eingang. Das Problem ist, dass der, der dir die Boje zuweist, auch quasi dein Führer ist. Wenn der keine Tour zum Beispiel nach Sisserou in den Regenwald mit seinen Kunden zusammenbekommt, schaust du zu, wie die anderen abgeholt werden. Vielleicht hilft es, bei PAYS direkt im Büro nachzufragen.
Jeden Sonntag (und angeblich auch mittwochs) veranstaltet PAYS ein BBQ um 19:00 für einen guten Zweck (der allerdings verborgen bleibt). Kostet 50 EC pro Person, inklusive Rumpunsch. Du wirst satt davon – und betrunken auch! Sonntags fallen die Schiffe ein, wie die Geier, wenn du eine Mooring willst, musst du früh genug da sein.
PAYS hat Duschen, ein Dinghidock, einen Wasserhahn um Kanister zu füllen und kann Gasflaschen füllen (24 Stunden) und Wäsche waschen organisieren.
Die Tour am Indian River ist immer noch beeindruckend! Fort Shirley ist sehr gut renoviert.
Es gibt einige offene Strandbars.
Wifi bei Smithy’s, 200 m von PAYS Richtung Ort. Dort ist auch ein Supermarkt und mittags ein kleiner, preiswerter und guter Imbiss.
*Wenn du Bloddwood Tree googlest, kommt ein Baum in Australien raus. So kann ich den deutschen Namen nicht finden. Ich bin aber sicher, dass Alexis ihn Bloodwood Tree genannt hat.
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