Solche Überschriften locken angeblich mehr Leser an. Meistens versprechen sie mehr, als der Artikel dahinter hält. Ist hier nicht anders, denn einen Ort hätte ich mir vielleicht doch freiwillig angesehen.
Was so auch nicht stimmt, denn letzten Endes war ich überall freiwillig. Weil ich ja immer das Beste aus einer Situation mache. Die Situation war in diesem Fall Tomys Aufenthalt zur Anschlussheilbehandlung in Reinhardshausen. Und damit sind wir im ersten Ort:
Bad Wildungen/Reinhardshausen
Die Fahrt von Köln dorthin dauert eine gefühlte Ewigkeit, über etwas Autobahn und viel Landstraße, jede Menge Kurven und Gegend. Zugegeben, schöne Gegend, die mich ein wenig an meine Heimat am Rande des Wienerwaldes erinnert. Nur die Häuser sind anders, es sind hier nämlich Fachwerkhäuser. Aber die Hügel und die Felder sind ähnlich und die Gärten frei von Vertikal- und sonstigem Schotter: Es dominieren bunte Bauerngärten. Eine Wohltat!
Reinhardshausen selbst ist ein Ortsteil von Bad Wildungen und ebenso wie dieser ein Kurort. Irgendwelche Quellen machen ihn dazu. Und etwa 7 oder 8 Reha-Kliniken voller kranker und meist alter* Menschen, die im Kurpark spazieren gehen und in den Kaffeehäusern Torten, Eis und Waffeln mit Kirschen und Sahne verdrücken. Gut, auch Tomy ist keine 20 mehr, und gerade auch nicht voll einsatzfähig, sonst wäre er ja nicht dort. Trotzdem macht mich diese Ansammlung von Krücken, langsamen Gehen mit Hinterherschleifen von Stöcken (allgemein Walken genannt) und farblos dunkelblau bis schwarzen Hosen, hellfarblosen Blusen und Herrenkurzhaarschnitt – alles bei den Damen – verrückt. Schon mein Vater verzweifelte an der meist eleganten, aber tristen dunklen Kleidung meiner Mutter. Ich halte es da mit den Rolling Stones: She’s like a Rainbow…
Also ich wollte nie in so einen Kurort voller Invaliden, besuchte Tomy aber dann doch dort. Und damit wir nicht auch noch unbeweglich werden, sahen wir uns die Umgebung an.
Edertalstausee
Wow, dort kann man segeln! Es gibt viele Steganlagen mit kleinen Kajütbooten, auch Jollen, und Segelschulen und Bootsverleih. Wind scheint allerdings nicht sehr viel zu sein und das Wasser war dieses Jahr besonders knapp: Über der Brücke von Asel, einem der Orte, die beim Füllen des Stausees umgesiedelt wurden, sollte eine Fähre Wanderer und Fahrradfahrer an das andere Ufer bringen. Jetzt spazieren die Schaulustigen darüber. Schwanentretboot, Ruderboote und Untiefentonne haben längst das Zappeln aufgegeben und verrotten wie tote Fische im Grünen. Ederseeatlantis nennt sich diese Sehenswürdigkeit. Nun ja, irgendwie muss ich mir ja die Kalorien der Waffeln, der Kirschen und der Sahne wieder abarbeiten – also stapfe ich auch darüber, während Tomy mir vom „Ufer“ aus winkt.
Ist ganz nett dort – also falls du mal unfreiwillig in der Gegend bist, kannst du dort vorbei schauen.
Kassel
Hätte mich jemals etwas nach Kassel gezogen? Auf meiner Löffelliste stand diese Stadt sicher nicht. Dabei hat sie einiges zu bieten: Die Documenta14, die Grimmwelt Kassel, gewidmet den Brüdern Grimm, und das einzige Sepukralmuseum Deutschlands. Sagt dir nichts? Grob gesagt ist sepukral alles, was mit dem Tod und Bestattung zu hat – es ist also ein Bestattungsmuseum. Den Wienern sagt man nach, ein besonderes Verhältnis zum Tod zu haben – ich bin zwar nur dort geboren und keine echte Wienerin, aber dieses Museum setzte ich dennoch sofort auf meine Löffelliste: Das ist die Liste jener Dinge, die man getan oder gesehen haben will, bevor man den Löffel abgibt. Ich war also sozusagen freiwillig dort.
Über dieses Museum werde ich ein anderes Mal berichten, für heute reicht es, dass ich es gesehen habe und mich sonst erst mal nichts wieder nach Kassel zieht. Na, vielleicht die Grimmwelt. Falls du noch einen guten Grund weißt, doch nochmal dahin zu fahren, lass es mich wissen!
Die Documenta14 zählt nicht – der Tempel der verbotenen Bücher war ja ganz nett, aber moderne Kunst ist selten meins! In Frischhaltefolie eingepackte Bücher auch nicht. Trotzdem, eine Erkenntnis hatte ich bei der Besichtigung: Es gibt kaum ein Buch, das nicht irgendwann irgendwo einmal verboten gewesen wäre!
Und jetzt geh ich lesen! Mal sehen, ob ich etwas Verbotenes finde!
*Alt ist übrigens relativ: Von Jacare nach Surinam segelten wir mit Menschen, die schon einige Jahre mehr als wir auf dem Buckel haben, auch krank waren – und doch fitter und beweglicher an Körper und Geist als manch Vierzigjähriger!