Wir lassen nichts unversucht, um unseren Gast, meine Freundin, zu beeindrucken. Was auch immer das Seglerleben rund um Grenada zu bieten hat, wir wollen es ihr zeigen.
Was natürlich so nicht stimmt, denn wir lassen vieles aus. Wir sind weder Herdensegler, noch Herdenvorankerlieger. Wir vermeiden also die Anhäufung von Schiffen, legen uns sicher nicht in die Prickley Bay, gehen nicht zum „Yoga with a smile“, das dort jeden Montag und Donnerstag in der Bar angeboten wird, auch nicht zum Tai Chi und wir nehmen auch an keinem der musikalischen Zusammenkünfte teil, Shademan fährt uns nicht zu Einkaufen und an einem Hash haben wir auch nicht teilgenommen. Jeder, der mal hier gesegelt ist, kennt das Cruisers Net, das um 7:30 morgens all diese Ankündigungen für Veranstaltungen auf UW Kanal 66 aussendet. Und natürlich Wetter, Sicherheitshinweise, Angekommene und Verlassende, Tausch und Verkauf, Hilfesuchende… Wir hören mit, finden die Hilfsbereitschaft und das soziale Leben auch ganz toll – von der Ferne. Wir mögen einsame Buchten und leere Strände.
Für die ersten Tage mieten wir ein Auto und erkunden die Insel: tropische Gärten und enttäuschende Wasserfälle, Muskatnuss- und Kakaoverarbeitung, bunte Hütten, farbige Villen, Bananen essende Äffchen und Lianen überwucherte Flugzeuge liegen auf unserem Weg.
Und natürlich der Markt, der Fischmarkt mit köstlichem und preiswertem Thunfisch für Sushi und ein Supermarkt, denn wir brauchen Proviant für unseren Weg nach Norden, zur Nachbarinsel Carriacou und wieder zurück.
Wir halten in der Dragon Bay, um den Underwater Sculpture Park schnorchelnd zu erkunden, allerdings ohne Kamera, wir haben vergessen sie zu laden. Aber wir haben Glück: Am frühen Nachmittag sendet die Sonne ihre Strahlen direkt in die Tiefe, beleuchtet butterblumengelbe und tiefblaue, winzig kleine und Schaufel große, dünne, dicke und flache Fische, mal einzeln, mal in Schwärmen. Wir gleiten über das Riff und suchen die Skulpturen, die Taucherbrille beengt das Gesichtsfeld doch ziemlich. So tauchen die Figuren, der Mann am Schreibtisch, der mit den erhobenen Händen, die Frau mit dem Fischschwanz, unvermutet vor uns in den sandigen Spalten des Riffes auf. Es dauert eine Weile, doch endlich finden wir auch den Menschenkreis, der aus jeder Broschüre von Grenada dem Betrachter entgegenblickt. Tauchend kann er kaum besser zu betrachten sein. Also wenn ich meinen Hintern unter Wasser bekäme, wäre das schon schön, aber nicht zwingend notwendig, um mich zu verzaubern. Ich bin auch so hin und weg! Ist es doch mein erstes Mal, dass ich schnorchelnd über ein tropisches Riff schwebe.
Der Ankerplatz in der Dragon Bay ist ebenfalls verwunschen: Obwohl keine Wellen zu sehen sind, schaukelt uns ‘unterirdisch’ strömendes Wasser immer wieder auf. Yemanja rollt und wälzt sich wie auf hoher See, sie ächzt und stöhnt und knallt. Wir können kaum schlafen und brechen um fünf Uhr früh auf nach Norden, nach Carriacou.
Muss ich betonen, dass der Wind uns meist entgegenkommt? Oder ganz verschwindet Oder die Wolken einen Wasserfall über uns ergießen?
Bei der Einfahrt in die Tyrell Bay sehen wir kaum unser Vorschiff, so sehr schüttet es!
Am nächsten Tag entschädigt uns das bisher beste Internet auf unserer Reise, das sogar nur im Vorbeigehen die Fotos meiner Engelchen auf WhatsApp öffnet und ein köstlicher Hummer im Lazy Turtle für den langen und anstrengenden Motorsegeltag. Auch die Pizzas und der Lionfish, der hier nicht heimisch ist und das lokale Unterwasserleben gefährdet, sind dort sehr gut!
Doch die berühmteste Zehntelsekunde der Karibik steht uns noch bevor! Der Ankerplatz vor Sandy Island entspricht endlich dem Bild, das die meisten von euch zu Hause – und auch wir – von der Karibik haben: Ein Meer, wie ein Laken aus geschmolzenem Türkis, ein flüssiges Juwel, gefasst von einem weißen Sandstrand mit grünen Palmen dahinter, liegt vor uns. Füllfedern* mit großen Schnäbeln fliegen an uns vorbei, stürzen tollpatschig ins Meer und fangen doch ihre Mahlzeit. Schildkröten treiben auf dem Wasser wie Treibholz, kurz bevor sie untertauchen heben sie den Kopf um Luft zu holen. Dann erst erkennen wir sie als lebende Tiere. Wir sind mitten im karibischen Traum.
Dann der Sonnenuntergang, sehr spannend: Wird der Katamaran, der rhythmisch den Blick auf die Sonne freigibt, im letzten Moment, wenn die Sonne im Meer versinkt zwischen ihr und uns liegen? Oder werden wir ihn sehen?
Da! Der Katamaran bewegt sich nach rechts, wir nach links – beide verharren. Jetzt nur nicht blinzeln…
Ein vielstimmiger Jubelschrei tönt über das Ankerfeld! Ja, da war er, der berühmte grüne Blitz!
Tomy hat ihn noch nie vorher gesehen, unser Gast auch nicht, nur für mich war es schon das zweite Mal!
Auf den Sonnenuntergang folgt ein sehenswerter Sternenhimmel: die Sternbilder Orion, Kassiopeia, Krebs, Zwilling, die Sterne Beteigeuze, Aldebaran, Sirius, die Planeten Venus und Mars, der Andromeda Nebel und tausenden mehr.
Am nächsten Tag schließt sich meine Freundin gute vier Stunden lang ins Klo ein. Sie nennt es ihre Wellnessoase auf unserem Weg zurück nach Grenada: Auf dem Toilettensitz kann sie sich wunderbar verkeilen, das Waschbecken ist direkt rechts von ihr, nur ein Beugen des Kopfes entfernt. Wir segeln mit 15 bis 20 Knoten raumen Windes wunderbar nach Süden. Tomy steuert zufrieden, mir ist wie immer langweilig (steuern wäre obendrein noch ungemütlich), meine Freundin kotzt sich die Seele aus dem Leib.
Ich hab es ja gesagt: Wir geben alles, um unsere Gäste zu beeindrucken!
*Wer von euch hat noch mit einem Pelikan-Füller schreiben gelernt?