3. bis 9. November 2016
Bevor du weiterliest, nimm dir mal einen 50-Euro-Schein in die Hand. Du hast keinen? Macht nichts, ein Hunderter tut es auch ;-)
Also Mitte links unten, neben EYRO, da ist ein etwas größerer Fliegendreck abgebildet, oder auch ein zerdrückter Moskito: Das ist Französisch Guyana, das größte Departement Frankreichs, fast so groß wie Österreich, Teil der EU und liegt in Südamerika. Somit zahlen wir hier, in St. Laurent du Maroni, auch mit Euro!
Alles, was wir damit kaufen können, kommt aus Frankreich oder der EU. Landwirtschaftliche Produkte dürfen nicht direkt aus Südamerika eingeführt werden. Sie müssen erst nach Frankreich und von dort hierher transportiert werden. So können wir in Deutschland Äpfel aus Chile und Mangos aus Brasilien kaufen, während wir hier Endiviensalat aus Deutschland bekommen. Zugegeben, das klingt verrückt, aber die Guyanas sind mit keiner Straße mit dem Rest des Kontinents verbunden. Alles, was du hier kaufen kannst, kommt per Flugzeug oder Schiff. Recife in Brasilien ist so weit weg wie die Kanaren…
Im Grunde genommen ist Französisch Guyana ein unwirtliches Land, bedeckt von Regenwald und durchzogen von mächtigen Flüssen. Es ist außerdem zu nichts nutz. Gut, es gibt ein paar Goldgräber, etwas Tropenholz, aber das war es dann. Ohne den Subventionen aus der EU würde es innerhalb weniger Jahre im Dschungel versinken.
So wie die Schiffswracks vor St. Laurent oder die zahllosen Autos am Straßenrand.
Fast alle Besiedlungsversuche scheiterten an den Moskitos, Gelbfieber, Malaria und Ruhr oder an den Giftpfeilen der Ureinwohner. Der grausamste Versuch einer Besiedelung war die Deportation der Strafgefangenen, der Bagnards, mehr dazu in den Artikeln über St. Laurent und den Iles du Salut.
Nur wurden diese so schlecht behandelt, dass sie ebenfalls wie die Fliegen starben.
Und selbst heute, bei der Autofahrt durch das Land, kommen mir große Zweifel, ob die Besiedelung mit moderner Zivilisation nicht doch nur ein gigantischer, zum Scheitern verurteilter Freilandversuch ist…
Es gibt vielleicht ein Dutzend größerer Orte, die auch auf der Überblickskarte verzeichnet sind: St. Laurent, Kourou, Cayenne, St. Georges, Regina, Apatou, Sinnamary, Iracoubo, Mana, Awala Yalimapo, St. Jean, Saul…
Wir klappern sie ab, mit dem Auto, zumindest das halbe Dutzend. Erst mal geht es nach St. Jean, dem ehemaligen Arbeitslager der Bagnards. Die Fahrt dorthin führt an Villen und recht anständigen Wohnparks vorbei, mit einfachen Reihenhaussiedlungen zu vergleichen. In St. Jean erwarte ich einen entsprechenden – naja, Ort halt. Und da krieg ich einen Schock: Die Zufahrtsstraße endet im Sand, genauer im Fluss. Das Militär ist noch da, es ist wohl teilweise in dem alten Gefängnis untergebracht. Der Rest besteht aus Holzschuppen in denen Maroons hausen. Die junge Frau, die im afrikanischen Rock und barbusig, mit Kind auf der Hüfte vor ihrem Haus steht, gibt mir den Rest.
Wir sind hier mitten in einem afrikanischen Dorf – und in der Europäischen Union! Ja, selbst in Südamerika undenkbar!
Sicher, die Maroons haben wir schon in St. Laurent angetroffen, ich dachte nur, St. Jean wäre ein französischer Ort. Nun ja, so ist das mit den Erwartungen! Ich hätte es ahnen können, schließlich stellen die Nachfahren der ehemaligen Sklaven die Mehrheit der Bevölkerung. Und sie sind schwarz! ebenholzschwarz, nicht so wie in Brasilien milchkaffeefarben. Hier fand nur sehr wenig Mischung statt.
Schöne Menschen sind sie auch!
Wir fahren weiter flussaufwärts, biegen immer wieder rechts ab und folgen den Staubstraßen. Die erste führt uns in eine glitzernde Welt voller Narrengold! Was da genau golden glitzert, weiß ich nicht, aber es ist nichts weiter als ein durchsichtiger Film, ähnlich wie Zellophan. War es dieses Zeug, das Sir Walter Raleigh beschrieb, als er davon schrieb, dass das Gold hier auf dem Boden läge?
Zweifel, ob er jemals wirklich hier war, sind angebracht, entsprechen seine Beschreibungen doch keineswegs der Realität. Sie wurden geglaubt und deshalb versuchten die Portugiesen, Franzosen, Holländer, Engländer und Spanier immer wieder das Land des Wassers – Guyana in der Sprache der Eingeborenen – zwischen dem Amazonas und dem Orinoco zu besiedeln. Aus Portugiesisch-Guyana wurde der brasilianische Bundestaat Amapa, aus Französisch Guyana ein Teil der EU, aus Holländisch Guyana Suriname, aus Britisch-Guyana Guyana und aus Spanisch Guyana Venezuela – natürlich nicht, ohne immer wieder blutig die beherrschende Nation zu wechseln.
Und aus allen Sprachen zusammen wurde Nenguee Tongo, die Sprache der Maroons in Guyane.
Die nächste Abzweigung führt uns links zu einer interessanten Brücke, rechts in ein Maroon-Dorf, ebenso die Dritte. Oder war es umgekehrt? Jedenfalls stehen da Villen neben Bruchbuden – wie eigentlich überall in Französisch Guyana. Diese Gegensätze machen mich fertig! Klar, in Brasilien ist es ähnlich, doch auch dort hatte ich anfangs monatelang das Gefühl, mein Innerstes stülpt sich nach außen – meine Sicht der Welt wurde dramatisch verändert. Und jetzt ist es wieder so: Meine Erwartungen, meine Erfahrung deckt sich einfach nicht mit der Realtität!
Ein paar Kilometer flussaufwärts liegt der Maroon-Ort Apatou. Apatou war ein Führer, der die Franzosen bei ihren Expeditionen in den Regenwald unterstützte und als Dank ein Gebiet zugesprochen bekam, wo er eine neue Siedlung gründete. Heute weiß man nicht so recht, ob sie aufgebaut oder abgerissen wird, die Mischung aus traditionellen Hütten, Bruchbuden und schicken Villen ist unbeschreiblich. Der Ort hat immerhin rund 8000 Einwohner, aber keine Kneippe, kein Wirtshaus. Wir kaufen Huhn mit Reis von einem der Food-Trucks am großen Parkplatz. Es schmeckt. Und wir leben noch.
Am nächsten Tag machen wir uns auf dem Weg nach Kourou und Cayenne, der Hauptstadt. Die N1, eine der wenigen Straßen, die es im Land gibt, führt über enge, alte Brücken und durch dichten Regenwald. Immer wieder ist ein Teil abgebrannt, Brand gerodet, um Platz für eine Hütte und ein Feld zu machen. Es ist wohl die einzige Möglichkeit, den Urwald im Zaum zu halten und ihm etwas Land abzutrotzen. Emissionen? Wen interessiert es hier? Schutz des Regenwaldes? Es ist so unglaublich viel da…
Wer hier lebt, kann sich nicht vorstellen, dass sein kleines Stück Land Schaden anrichtet.
Ich kann das auch nicht, der Dschungel ist so massiv und übergriffig!
Fortsetzung demnächst in Teil II
INFO Apatou
St. Jean – Maroondörfer am Maroni – Apatou
Hübsche Fahrt durch den tropischen Wald auf einer recht neuen Straße Richtung Süden. Die Staubstraßen rechts führen zu Maroondörfern am Fluss. In Apatou können Touren den Maroni hinauf gebucht werden.
In Apatou ist ein kleiner Supermarkt, Imbissbuden am Parkplatz davor, sonst keine Infrastruktur. Es gibt zwar Restaurants, doch wenn überhaupt scheinen sie nur nach Voranmeldung geöffnet zu haben.
Der Ausflug lohnt, weil er Einblick in das Leben der Maroons gibt.
In St. Jean soll es ein gutes Restaurant geben, die Frage in F. Guyana ist allerdings immer: Wann hat es geöffnet?