31. Oktober 2016
Schön langsam, um unseren heiß-laufenden Schweden, den Volvo Penta, nicht zu sehr zu strapazieren, laufen wir mit der Flut nach St. Laurent du Maroni ein. Von weitem grüßt uns eine riesige Palme, die sich in der Nähe als Sendemast entpuppt. Wir rufen die Marina auf UKW 72, doch es meldet sich Herwig von der WORLD DANCER: In der Marina wäre jetzt niemand, aber er würde uns helfen, die Boje im von Wind, Strom und Tide aufgebrachtem Wasser zu fangen.
So kommt es, dass wir flott fest liegen, bereit fürs Ankerbier! Schließlich darben wir seit ein paar Tagen, denn unsere diesbezüglichen Vorräte sind schon vor Ayawande zur Neige gegangen. Doch das Anlanden erweist sich für uns doch etwas schwieriger, als gedacht, denn auch unser Außenborder macht Spompanadln*, er will nicht anspringen!
Die Marina hier gibt es jetzt seit zwei, drei Jahren, aber sie befindet sich immer noch in der Entwicklung: 20 Mooringtonnen liegen um die berühmte Schiffswrackinsel, eine Verlängerung des kleinen Steges ist bestellt, doch die Lieferung verzögert sich. An dem bestehenden Steg können nur Dinghis festgemacht werden – sicherheitshalber mit Kette. Daran müssen wir uns erst noch gewöhnen, in Brasilien war das völlig unproblematisch. Wasser kann hinter dem Büro in Container gezapft werden, Strom müssen die schiffseigenen Generatoren liefern, Duschen gibt es im Schwimmbad ein paar Schritte weiter. Die meisten Segler waschen sich allerdings im warmen und süßen Fluss. Gut, das Wasser ist etwas schlammig, aber sonst sauber und daheim wasche ich mich ja auch Ghassoul, der marokkanischen Erde, die die Haut so wunderbar zart macht. Das Marinabüro und die kleine Kaffeebar dazu sind noch in einem bestehenden Haus untergebracht, doch Davide, der Besitzer, hat schon die Baugenehmigung für ein richtiges Marinagebäude.
Außerdem gibt es gutes Internet, einen Waschservice und Hilfe bei der Erledigung der Anmeldeformalitäten: Der Pass wird an der Fähre abgestempelt, was besonders für die legale Weiterreise nach Surinam wichtig ist. Die Zollformalitäten können per Internet im Marinabüro erledigt werden – die sind wichtig, weil es da ja so ein ominöses Gesetz gibt, das besagt, dass Schiffe, die länger als drei Jahre aus der EU fort sind, bei der Heimkehr verzollt werden müssen. Ich weiß von keinem einzigen Fall, wo das angewendet wurde, aber Vorbeugen ist besser als Blechen!
Gleich hinter der Marina liegt das berüchtigte Camp de la Transportation, wo alle jene Straftäter, die Frankreich früher loswerden wollte, ankamen.
Die ersten Bagnards, benannt nach den Badehäusern, in denen die Kriegsgefangenen untergebracht waren, kamen 1852. Sie schliefen auf den Schiffen und bauten die Gefangenenlager, sie schaufelten quasi ihr eigenes Grab. Über 70 000 kamen in den folgenden knapp hundert Jahren hierher. Die Deportation endete 1946, doch geschlossen wurden die Lager, rund 50 in ganz Gyuane, erst 1953!
Die Bedingungen, unter denen die Gefangen ausharren mussten, waren grausam. Das Massenquartier, ausgelegt für 80 Personen beherbergte fast doppelt so viele. Sie schliefen auf nacktem Beton, auch der Kopfpolster war aus Beton. Wer nicht spurte, wurde angekettet. In der Latrinenecke, der Liebesecke für Männer, stand ein Eimer, der alle drei Tage geleert wurde. Es gab Isolationszellen, in denen ewige Dunkelheit herrschte, andere ohne Dach, so dass die Gefangenen der Witterung – tropischer Sonne und Regen – ausgesetzt waren. Über manche Zellen konnten die Wärter gehen. Sie spuckten und pinkelten auf die Gefangenen. Dabei durften diese niemals die Wand berühren, sie war zur Kontrolle mit Kohle geschwärzt, auch nicht beim Schlafen. Zur Verschärfung konnte der Gefangene angekettet werden, zwei Tage lang, oder auch viel mehr. Er kam dann weder an den Pinkeleimer noch an das Trinkwasser unter der Pritsche…
101 Jahre lang!
Wer, zum Henker, dachte sich dieses perfide Strafsystem aus? Wussten die „Verantwortlichen“ in Paris davon? War das eine Anweisung von oben oder eine Erfindung der örtlichen Gefängnisdirektoren? Wie tief muss die Verachtung für die Sträflinge gewesen sein, wie groß auch die eigene Angst?
Wir Touristen verstehen das heute nicht, können uns diese Unmenschlichkeiten nicht vorstellen, weder sie selbst zu ertragen, noch sie selbst auszuführen. Und doch gibt es ähnliche Berichte aus dem 21. Jahrhundert – aus amerikanischen Kriegsgefangenlagern, aber auch aus den Gefängnissen im Iran und Irak und anderswo.
Was braucht es wohl, dass ein Mensch, vielleicht auch du und ich, zum Folterknecht wird?
Was braucht es, dass selbsternannter Heimatschutz wehrlose Menschen jagt? Oder ein Hassprediger Präsident wird? Ich fürchte, diese Fragen sind aktueller denn je!
Gejagt wurden auch die entflohenen Sklaven, genannt Maroons, nach dem spanischen Wort „cimarron“, was wildes Tier im Gegensatz zu einem Haustier bedeutet. Dennoch konnten viele in den Regenwald flüchten, wo sie fast die gleichen Lebensbedingungen vorfanden, wie in ihrer afrikanischen Heimat. Die Indianer halfen ihnen, zeigten ihnen, wie sie im hiesigen Urwald überleben konnten. Vor allem in Surinam bildeten sie neue Stämme und führten ihre afrikanische Lebensweise fort – teilweise bis heute. Viele von ihnen ließen sich auch am Maroni oder Marowijne, dem Grenzfluss zu Surinam, nieder. Im Bürgerkrieg ab 1986 in Surinam flohen zehntausende Maroons vom Stamm der Ndyuka über den Fluss nach Frankreich. Sie blieben und bilden heute die größte Bevölkerungsgruppe in St. Laurent. Und auch die am schnellsten wachsende: 10 Kinder pro Familie sind normal, oft kommen zumindest noch auf dem Papier jene Kinder hinzu, die in F. Guyana auf die Welt kommen, damit die Eltern Kindergeld bekommen. Sie leben allerdings auf der anderen Seite des Flusses, in Surinam.
Davide ist nicht unbedingt ein Freund dieser Flüchtlinge. Sie gebärdeten sich wie die Herren, erhebten Ansprüche, dabei wären sie die letzten, die ins Land kamen. Sie wären aggressiv und die Gegend, wo sie wohnen oder auch hausen, nicht sicher. Nun kein Wunder – in dem Krieg, ja in ihrer ganzen Geschichte lebten sie mit der Waffe in der Hand. (Erst in Surinam habe ich Davide verstanden. Erstens weil ich bei der Überfahrt den Surinam-Führer und John Gimlettes Buch gelesen habe und zweitens, weil die Schwarzen in Surinam, wo sie herkommen, ganz anders sind. Die Ndyuka, der Maroon-Stamm, der im Bürgerkrieg geflohen ist, sind nicht unfreundlich, aber auch nicht freundlich. Sie vermitteln dir und den weißen Einwohnern das Gefühl, geduldet zu sein. Eine interessante Erfahrung, die durchaus Aggressivität beim Geduldeten nährt. Wie muss das erst sein, wenn man geächtet oder verfolgt wird? Wieder etwas zum Nachdenken… Oder wie ist das, wenn wir jemandem gegenüber nciht positiv eingestellt sind – spürt er das und agiert dementsprechend?)
Dennoch ist Davide bereit, jedem, der seinen Lebensunterhalt auf ehrliche Weise verdienen will, Arbeit zu geben. Ja, seine Vision von einer Marina zielt durchaus darauf ab, für die jungen Menschen, auch die Ndyuka, hier Arbeit zu schaffen.
Es ist faszinierend, wie afrikanisch St. Laurent ist. Viele Frauen tragen afrikanische Kleidung, die Trommeln haben einen fremden Rhythmus. In der Flüchtlingssiedlung laufen die Kinder barfuß durch den Sand, gekocht und gearbeitet wird draußen – manchmal barbusig. Am Markt herrscht ein buntes Völkergemisch, Europäer, wenige milchkaffeefarbene Mischlinge, die Kreolen, ebenholzschwarze Afrikaner und zerfurchte Hmong bieten Waren feil oder kaufen ein. Besonders gut schmeckt die Pho, die vietnamesisch-laotische Suppe, die die Hmong hier an Markttagen anbieten. Auch sie sind Flüchtlinge, davon in einem der späteren Berichte mehr.
Guyane gehört zwar zur EU, aber nicht zu Schengen. Die Grenze im Maroni ist durchlässig wie ein Nudelsieb. Die Familien wohnen auf beiden Seiten des Flusses. Hunderte Pirogen mit Indianern oder Maroons queren ihn täglich, ohne dass sich jemand drum kümmert. Du kannst auch mal schnell nach Albina, das von einem Deutschen gegründet und nach seiner Frau benannt wurde, zum Einkaufen fahren, von der anderen Seite kommen die Fischer und die Marktfrauen…
Ich muss schmunzeln, denn bei der Ankunft überreichte uns Davide ein Pamphlet in welchem genau steht, welches Obst und Gemüse in die EU in welcher Quantität eingeführt werden darf und unter welchen Bedingungen: Das Angebot am Markt erfüllt diese sicher nicht!
Ich nehme an, am Oyapoque, dem Grenzfluss zu Brasilien ist es ähnlich. Irgendwie müssen ja die ganzen illegalen brasilianischen Goldsucher ins Land kommen. Oder kommen sie durch den Dschungel?
Die “Grenzkontrolle” findet mitten im Land statt, auf der N1 bei Iracoubo werden die Pässe kontrolliert – und nach Kokain gesucht.
Vieles ist hier nicht EU-konform. Der Flughafen zum Beispiel muss mit einem Zaun umgeben sein, der verhindert, dass jemand aufs Rollfeld gelangt. Nun ist aber blöderweise das Wohnviertel auf einer und die Schule auf der anderen Seite des Flughafens. Also hat der millionenschwere Zaun Löcher.
Mich bringt diese Mischung aus afrikanischen, asiatischen und indianischen Dörfern in einem EU Land mit Weltraumbahnhof an die Grenzen meines Weltbildes – es wird mal wieder anständig durchgeschüttelt, aber was soll es, deshalb sind wir ja hier!
INFO St. Laurent du Maroni
Nachdem wir die Verhältnisse in Kourou und teilweise in Cayenne gesehen haben, gibt es von uns eine klare Empfehlung:
Unbedingt St. Laurent du Maroni zum Landfall in Französisch Guyana nutzen! Kein anderer Ort, keine andere Marina hier, ist auch nur ansatzweise von Komfort, Service, Sicherheit, Infrastruktur und Schönheit her mit St. Laurent vergleichbar.
Marina – Saint Laurent du Maroni “Les Amis du Rallye Nereides”
TO-Stützpunktleiter Davide Matelicani (Englisch, Französisch oder Italienisch)
+594 (0)694946157 or +594 (0)594278430
VHF 72
office@marinaslm.com
http://www.marinaslm.com
20 Mooringbojen, Dinghisteg, Wasser (mit Kanistern holen), sehr guter Außenborder-Service, Internet, Formalitäten-Service, Flughafentransfer, Kaffee-Bar, ein Steg und das Marinagebäude sind im Projektstadium
Veranstalter der Nereids Ralley von Trinidad über Guyana nach F. Guyana, Start am 5. September, Info auf der Website. Hier das Fazit der ATANGA und WORLD DANCER
Wenn du auch nur ein wenig französisch kannst, besorge dir den Guyane-Führer,
GUIDE GUYANE 2016-2017
Außerdem: John Gimlette: DuMont Reiseabenteuer Wilde Küste: Durch Sumpf und Regenwald zwischen Orinoco und Amazonas