Ayawande – ein Dorf in der EU

| Keine Kommentare

„Vor St. Laurent könnt ihr in den Crique Coswine, dort ist ein Indianerdorf, Ayawande, davor könnt ihr ankern. Die fahren dann mit euch zu den Krokodilen und einen Medizinmann haben die auch!“

Walter von der PAPILLON und ich sind sofort Feuer und Flamme. Tomy ist skeptisch:
„In den Seitenarm? Ist der denn tief genug?“

So winzig die Flüsse auf der Karte aussehen, der Fleuve Maroni entpuppt sich als breiter Strom, der dem Rhein alle Ehre machen würde. Selbst der Crique Coswine hat noch ansehnliche Dimensionen und ist nach der Barre immerhin rund sieben Meter tief. Zwei Meilen geht es von der Mündung in den Maroni stromaufwärts, dann taucht der Anlegesteg des Dorfes auf. Da es schon gut nach Mittag ist, verschieben wir unseren Besuch auf den nächsten Tag.

Bei Sonnenuntergang beobachten wir die Kinder, die sich offensichtlich irgendwo in Ufernähe waschen. Im Fluss kann es kaum sein, der ist zu schlammig – er hat die Farbe von Maroni oder Esskastanien. Auf dem Dorfplatz geht die Solarbeleuchtung an, an einem der Hütten hängt jemand offensichtlich Solarlämpchen an. Über uns leuchtet bald ein grandioser Sternenhimmel, den wir aber nicht lange betrachten: Die Moskitos, riesige, aber träge Viecher, verscheuchen uns. Unsere Netze halten sie gut draußen!

Unseren Außenborder wollen wir mit dem schlechten brasilianischen Benzin möglichst nicht verwenden, Walter hat gleich gar keinen und der von der GALATEA ist ganz kaputt – wir müssen also gut auf die Strömung, die Tide, im Crique achten, denn gegen rund 3 Knoten rudert keiner von uns an! Wir gelangen gut zum Steg, wo ein paar Kinder und drei Franzosen das Mittagessen angeln. Beeindruckend, die Fische, die sie an Land ziehen!

Gleich rechts neben dem Steg ist die Dusche des Ortes, links heißt uns ein Schild wollkommen in Ayawande. Oben ist der Urwald gerodet, rund um den sandigen Dorfplatz stehen ein paar Holzhütten mit offenen Küchen unter Palm-gedeckten Unterständen.

Die Dusche des Dorfes Ayawande

Die Dusche des Dorfes Ayawande

Ayawande

Ayawande

Ein junger Mann kommt auf uns zu, er hieße Guinot und freue sich sehr, dass wir da sind: Er lebt in Ayawande mit seinen Eltern, den Familien der Tanten und seines Bruders. Er weint jeden Abend, weil das Leben hier so schwer ist und er nichts zu tun habe, aber wenn Schiffe kommen und er mit jemanden reden kann, wenn er uns herumführen kann, dann ist es gut. Er ist Maurer und sein Cousin Fleischer, sie sind beide sehr stolz auf ihr Diplom. Nur Arbeit haben sie keine. Am Abend wollen uns die beiden in den Regenwald führen und morgen früh zum Fischen. Sie bieten uns auch an für kleines Geld im Dorf in einer Hängematte zu übernachten, aber ich fürchte mich vor den Moskitos.

Die Franzosen hätten gutes Zeug zum Eincremen und wenn man dann doch Grippe bekommt, hätten sie auch gute Medikamente…

Ich bin nicht überzeugt.

Walter quatscht mit den Frauen, die den Sand um ihr Haus fegen oder in der Küche werkeln. Die Männer hören wir im Wald arbeiten, sie selbst hüten die Enkelkinder. Deren Eltern arbeiten in St. Laurent oder in „La Metropole“.
„En Cayenne?“
„No, no, en France.“

Paris wird nie wieder das Gleiche für mich sein!

Ja, wir sind hier in der EU, in Frankreich und hier kochen die alten Frauen auf offenen Feuer. Abends, nach dem Bad laufen sie barbusig herum und die Kinder nackig.Die Männer haben zu wenig zu tun, die Rumflasche kreist. Der Rauch des Feuers hält die Moskitos fern, der Rauch der Pfeifen hilft beim Ertragen. Geschlafen wird in Hängematten und der Dorfplatz von einer modernen Solarleuchte mit LEDs erhellt.

Abends spielen die Kinder Fußball

Abends spielen die Kinder Fußball

Guinots Vater flechtet eine Art länglichen Korb, in dem geriebene Maniokwurzeln kommen. Durch Zusammendrücken und abruptes Auseinanderziehen werden die Wuzeln so entwässert und entgiftet. Das Teil ist einer Schlange nachempfunden, es gibt tradionelle Flechtmuster, die sie imitieren. Im Schatten des Mangobaumes bäckt seine Mutter kunstvoll große Fladen aus dem Maniokmehl, daneben schmorrt ein Huhn. Guinots Bruder nimmt die Fische aus, sie werden gegrillt.

Ein Maniokfeld - gar nicht fein säuberlich und deutsch, sondern einfach so in den Urwald gepatzt

Ein Maniokfeld – gar nicht fein säuberlich und deutsch, sondern einfach so in den Urwald gepatzt

Die Maniok-Schlange im Werden

Die Maniok-Schlange im Werden

Maniokfladen

Maniokfladen

Gekocht und gelebt wird unter palmgedeckten Untertänden oder unterm Mangobaum

Gekocht und gelebt wird unter palmgedeckten Untertänden oder unterm Mangobaum

Gut eingesprüht und in langen Hosen und langärmeligen T-Shirts, ausgerüstet mit Stirnlampen machen wir uns nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Weg. Guinot schnallt sich den Patronengürtel um, wirft sich ein Gewehr über die Schulter und nimmt einen kräftigen Schluck vom Zielwasser.

Was genau er zu treffen hofft oder fürchtet, bekommen wir nicht heraus. Ich gehe von jetzt an eher neben mir und mache mich über mich selbst lustig: Dieser kleine Angsthase namens Steffi Müller, geht doch tatsächlich nachts in den Dschungel, an einem Ort, wo Jaguare, Affen und Spinnen mit bis zu 30 Zentimeter Beinspannweite wohnen…
Die Spinnen machen mir am meisten Sorgen.

Was soll ich sagen, das Aufregendste, das wir treffen sind Glühwürmchen, riesige Motten und – Spinnen. Wir lassen uns auf einem morschen Stamm nieder, um den Geräuschen der Nacht zu lauschen und die Glühwürmchen zu beobachten. Das letzte was ich im Schein meiner Stirnlampe sehe, ist eine Spinne. Kein besonders große, aber sie sitzt auf dem Stein direkt vor mir. Versonnen sehe ich sie an, drehe meine Lampe aus und bin umgeben von Dutzenden Irrlichtern.

Wie schade, dass es bei uns kaum noch Glühwürmchen gibt! Ein Wunder, das meine Engelskinder kaum erleben werden…

Ob gerade eine Spinne an meinem Rücken hochkrabbelt?

Hätte ich corher gewusst, dass die hier imWald lebt, hätte ich mir das überlegt: Körper 5 cm, die Beine könnt ihr euch ausrechnen

Hätte ich vorher gewusst, dass die hier imWald lebt, hätte ich mir das überlegt: Körper 5 cm, die Beine könnt ihr euch ausrechnen – Deinopis Amazonica ist ihr Name!

Nach einer Stunde sind wir wieder am Ufer: Der Crique Coswine rauscht an uns vorbei, zu den Schiffen rudern unmöglich. Kurzerhand wirft Guinot Walters Dinghi in seine Pirogge, hängt das der GALATEA hinten an und bringt uns heim. Unser Dinghi hängt am Schiff, da Tomy nicht mit war – der nächtliche Regenwald ist ihm unheimlich.

Ausfliúg in den Dschungel bei Tageslicht

Ausfliúg in den Dschungel bei Tageslicht

Am nächsten Morgen sind wir um acht Uhr mit Guinot und Brice, seinem Cousin verabredet. Wer nicht kommt, sind die beiden. Zu viel Rum? Zu viel Rauch? Wer will das wissen? Um halb zwölf tauchen sie auf, wir fahren zum Fischen in den Crique Vache.

Guinot und Brice paddeln die Pirogge zum Anleger - mit Schüsseln

Guinot und Brice paddeln die Pirogge zum Anleger – mit Schüsseln

Nach vielleicht einer halben Stunde Fahrt binden wir die Pirogge im Schatten einer Mangrove fest. Die Amerindians, wie der englische, politisch korrekte Ausdruck für die hiesigen Ureinwohner heißt, verteilen die Angeln, um leere Wasserflaschen gewickelte Angelschnüre mit Gewicht und Haken daran. Für mich ist keine mehr da, ich bin für die Fotos zuständig. Tomy ziert sich anfangs, er will keine Fische töten, aber das erledigen ja die beiden Jungs. Er hat bald Spaß, wirft seine Angel aus, als hätte er sein Leben lang nichts Anderes gemacht. Ich sitze da und amüsiere mich königlich über die Indianer spielenden Touristen.

Den ersten Fisch fängt der kleinste, Guinots Sohn, Mogli genannt. Bald hat auch Tomy einen, und auch Anna Maria fängt nicht nur antike Fische sondern den größten. Zwischendurch müssen wir uns immer neue Köder besorgen, wechseln dafür den Angelplatz, fahren in die Mangroven und pflücken kleine Krebse von den Wurzeln der Mangroven. Und siehe da, sogar ich bin nützlich und fange den einen oder anderen Krebs!

Und dann den größten

Und dann den größten

Profi-Angler Tomy

Profi-Angler Tomy

Wir ernten Köder

Wir ernten Köder

Die Fische sterben derweil quickend und nach Luft schnappend im Eimer vor sich hin…

Nach zwei Stunden brausen wir zurück nach Ayawande. Große blaue Vögel fliehen vor uns, kleine Eis-blaue flitzen übers Wasser und über uns flattert doch tatsächlich einer dieser großen, blauen Morpho-Falter!

Das Leben meint es mal wieder gut mit mir!

INFO Ayawande

Der Crique Coswine und der Crique Vache liegen beide im Indianergebiet, gelten als sicher und sind tief genug, um einen kleinen Umweg zu machen oder auch ein, zwei Nächte in der Einsamkeit des Dschungels (z.B. 5° 38‘ 19“ N   53° 57‘ 19“ W) oder vor dem Dorf zu ankern. Ayawande liegt etwa zwei Meilen vom Maroni entfernt. (5° 40‘ 43“ N  53° 56‘ 78“ W)

Wir hatten keine ernsthaften Probleme mit Moskitos, nur kurz nach Sonnenuntergang kamen ein paar vorbei, kommt aber vielleicht auf die Jahreszeit an.

Wenn die Tide gegenläufig ist, kann man vor der Einfahrt in den Coswine Anker werfen und warten. Ein weiter möglicher Ankerplatz, bei Ebbe mit Zugang zum Strand von Yalimapo (Bericht und warum du dahin sollst folgt in zwei, drei Wochen) ist etwa 5° 44‘ 43“ N  53° 57‘ 14“ W

Und noch ein paar Fotos:ayawande-0711 ayawande-0717 ayawande-0750

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.