Ach, die guten alten Zeiten, als wir mit dem Zauber, der allen Anfang innewohnt über die Biskaya fegten! Alles war neu und aufregend, Yemanja tanzte über die Wellen, Sissi, die Windsteueranlage, hielt uns fröhlich auf Kurs und wir staunten er das Meer, die Mondin, die Delphine!
Mittlerweile sind ein paar Nächte und Tage auf See so etwas wie Routine – lästige Routine, die sein muss, wenn wir weiterwollen.
Spass machen sie keinem mehr, Tomy nicht und mir schon gar nicht.
Ich mag nur das Ankommen. Den Moment, in dem der Anker fällt – und hält!
Aber erst legen wir ab – die kaputte Want ist ersetzt, das Ausklarieren ist erledigt, war gar nicht so einfach, Bericht folgt, die Vorräte sind aufgestockt und verstaut – Nicholas von der Marina hatte mir beim Einmachen von saurem Gemüse geholfen – und verabschiedet haben wir uns auch. Verdammt, Jacare ist nicht mein Ort, aber es war familiär hier, mir sind hier viele ans Herz gewachsen. So wische ich mir schnell ein paar heimliche Tränen weg – sehr unwahrscheinlich, dass ich diese Menschen jemals wieder sehen werde. Aber wenn ich Glück habe, erzaehlen andere Segler auf ihren Blogs von ihnen, oder schreiben mir, wie es den Marineiros Tiago und Ardillo, sowie Nicholas und Gabriel geht.
Um zehn Uhr sind wir los, setzen kurz darauf das Grosssegel, noch ohne es gebrauchen zu können, denn der Wind kommt – wie könnte es anders sein – von vorne! Kurz bevor wir die Riffe vor Cabedelo passiert haben piepst der Motor.
Unserem kleinen Schweden ist das tropische Wasser hier einfach zu warm!
Eine andere Erklärung haben wir nicht mehr daf, denn er wurde in Salvador ja grüdlich gewartet.
Und so kreuzen wir zwischen den Riffen hinaus aufs offene Meer.
Am ersten Tag ist die Welle nicht hoch, aber eher kurz, dennoch nicht unangenehm, der Wind bis 18 Knoten, also recht gemütliches Segeln mit raumen Wind. Wir kauen den letzten spanischen Reisekaugummi, er hilft gut. Nicht, dass wir jetzt Bärenhunger entwickeln, aber immerhin wird uns nicht kotzübel.
Damit das so bleibt, muss nach 6 Stunden ein weiterer Kaugummi her. Nur haben wir jetzt deutsche – und bei dem Gedanken an diesen ekelhaft, mit Süssstoff übersüssten Minzkaugummi wird mir beim Drandenken schlecht! Da kann noch so viel Dimenhydrat drinnen sein! Wessen Geschmacksverirrung ist das nur eingefallen?
Jedenfalls bleibt mir die nächsten drei Tage sehr komisch im Magen, ich döse vor mich hin. Tomy geht es etwas besser, aber mit der Gourmet-Überfahrt wird es nichts Darüber freut sich unsere Figur!
Oben um die Ecke Brasiliens ist wenig Wind, wenig Welle, wir kommen mal wieder nicht gut voran. Vom einsetzenden Guyana-Strom, der von da an nach Norden führt und in den mächtigen Brasil-Strom übergeht, merken wir nicht viel. Auch nicht am dritten Tag.
Tomy geht nach Sonnenuntergang schlafen, also um sechs Uhr. Da es ja dann stockdunkel ist, ist das kein Problem. Er kann nur nicht in dem knarzenden Schiff schlafen. Also schläft er draußen auf der Bank, während ich auf dem Cockpitboden sitze, lese und alle 10 bis 20 Minuten aufstehe, den Kurs prüfe und einen Rundumblick werfe.
Natürlich kann er dort auch nicht schlafen, sagt er.
Dabei musste ich ständig seine entspannte Hand, die zwischen mein Buch und meinen Blick fällt, wieder zurück auf seine Brust legen
Die zweite Hälfte der Nacht schlafe ich in meiner grossen Achterkoje, naja, meistens.
Am Sonntagabend schlage ich bei über 20 Knoten Wind reffen vor, weil der Wetterbericht auffrischenden Wind vorausgesagt hatte, mit Böen bis er 35 Knoten, doch Tomy geht nicht drauf ein. Auch wenn der Wind nicht so stark wird – vorerst – so tanzt Yemanja nicht über die Wellen, nein, sie bockt wie ein Pferd, das zugeritten wird, darüber.
Stell dir vor, du liegst auf einer Matratze auf einem Brett, das von zwei Trägern getragen wird. Die Beiden schleudern mal die Beine, mal das Kopfteil, mal das Ganze hoch und drehen es dabei auch noch der Längsachse nach unten oder oben. Du liegst also ständig auf einer schiefen Ebene, die sich auch noch wild bewegt, rutscht mal runter, mal rauf, spürst, wie deine Eingeweide hin und her rutschen – und dazwischen ist alles ruhig, zwei, drei oder vier Atemzüge lang, gerade genug um einzuschlafen und mit der nächsten Welle wieder Rodeo zu reiten.
Sitzen ist eigentlich noch schlimmer, da muss eine viel geringere Fläche den Druck aushalten. So fühlt sich mein Hintern auch an, als ob er Schwielen haette.
Wir reffen Montagmorgen, was aber nicht viel hilft, denn jetzt frischt der Wind wirklich auf. Ob auch noch Strom dazukommt? Keine Ahnung – wir fliegen jedenfalls unserem Ziel entgegen. Also Fliegen im Sinne von Freyas Wilder Jagd in den Rauhnächten.
Und erreichen so ein Rekord-Etmal von 186 Seemeilen in 24 Stunden!
Trotzdem, Leute, dieses Geschaukle nervt kolossal! Und der Lärm, den Wind und Wellen machen, nervt noch mehr! Mein Magen weiss immer noch nicht, ab er sich leeren oder flüllen möchte! Mein Kopf ist leer, ich greife schon auf Popcorn-für-den-Kopf-Lesestoff zurück, bloss nicht zu viel denken.
Ich brauche das echt nicht, nur um zu sagen: “Hei ich bin um die Welt gesegelt!” Es gibt doch so schöne Möglichkeien an Land, mit dem Off-Road-Wohnmobil nach Myanmar und in die Mongolei oder so, wie die beiden von Kiss the World. Oder die Panamericana runter, von Alaska, nach Feuerland
Andrerseits: Unsere Yemanja, unser Schiff, unser Heim ist eine wunderbare heimelige und sichere Höhle, in der es nur ein Gesetz gibt: Die Mannschaft bleibt an Bord. Gut, es wackelt ein bisschen viel, es knarzt, knackt, klackert und pfeift, doch ist sie ein schützender Kokon in der blauen Weite des Meeres. Es gibt nur Tomy und mich. Und ein paar fliegende Fische. Irgendwie ist das etwas ganz Besonderes.
(Du musst unbedingt in zwei, drei Wochen auf dem Blog vorbeischauen, wenn ich wieder Internet habe und die Fotos dazu posten kann)
Oder wir werfen den Anker vor Orten wie Lencois, dann hat sich die Mühe gelohnt!
Neben unserer Göttin gebührt noch der Kaiserin ein besonderes Dankeschön: Ohne Sissi, der Windpilotin (Pacific Plus), wäre jede längere Fahrt purer Wahnsinn. Abgesehen davon, dass wir nie so präzise von Hand steuern koennten.
So fliegen wir der Ilha dos Lencois entgegen. Eigentlich dürfen wir da ja nicht hin, weil wir ja gar nicht mehr offiziell in Brasilien sind. Aber ich scheine etwas Schlechtes gegessen zu haben, jetzt, da es mir wieder etwas besser geht und ich Hunger habe, zwinker, zwinker! Und so beschliessen wir, abzubiegen, nach links, in die Baia dos Lencois und uns dort zu erholen.
Von der Einfahrt, erzähle ich euch morgen – nur so viel: Die Strafe fürs Flunkern folgt auf den Fusse: Kaum liegen wir vor Anker, muss ich zur Toilette…