In unserer Segelpause besuchen wir meine Mutter, mein Elternhaus, die Orte meiner Kindheit. Und ja, das gehört hierhin, weil auch wir Segler Eltern haben, oft genug alt und fast allein zurückgelassen. Wir haben manchmal Sehnsucht und manchmal ein schlechtes Gewissen. Wir segeln auf Kosten der Zeit, die wir mit Menschen verbringen könnten, deren Zeit auf Erden begrenzt ist. Die Jahre, die meiner Mutter noch bleiben, kann ich an den Fingern einer Hand abzählen. Alles andere wäre ein Wunder.
Als ich ein Kind war, saß mein Großvater unter dem Nussbaum und sah mir verschmitzt schmunzelnd beim Spielen zu. Heute sitze ich fast an dem gleichen Platz und blicke auf die Stelle, an der ich einst in der Sandkiste spielte. Links davon trocknete die Wäsche in der Sonne, dahinter blühte rosalila der wilde Apfelbaum, rechts der Zwetschkenbaum, an dem meine Schaukel hing.
Ich war geborgen in einer Welt, die es täglich neu zu entdecken galt.
Ist Reisen ein Rückfall in die Kindheit? Sollen wir nicht werden wie die Kinder? Begeistert, offen, vergebend, wachsend, die Welt in ihrer Liebe erfassend?
Ja, genau so reise ich! Und schreite gerne in die Kindheit zurück!
Und immer wieder bemerke ich, wie meine Vorlieben, meine Sichtweise der Welt, meine Werte von meinen jungen Jahren geprägt sind.
Ich werde wohl alt, denn ich greife immer öfter in die Schatzkiste eines erfüllten, reichen Lebens.
Schluss jetzt mit dem Geschwafel: Wir fahren ins Burgenland, nach Stoob, wo mein Vater, ein Blumennarr wie ich, früher seine Tontöpfe kaufte. Stoob ist – oder war – berühmt für seine Keramik, für bunt mit Blumen bemaltes Töpfergut. Damals war das Leben sicher nicht einfach und doch genau das. Weder Versicherungen noch Anwälte, auch keine Schlagzeilen dominerten das tägliche Miteinander. So konnte ich als Sechsjährige an der Hand meiner Mutter durch die Werkstatt gehen, staunend zusehen wie Vasen auf der Töpferscheibe wie aus der Hand eines Zauberers emporwuchsen, wie sie in Öfen gebrannt, und dann händisch sorgfältig bemalt wurden. Immer durfte ich mir als Andenken ein kleines Väschen aussuchen, doch wirklich bei mir bleib etwas ganz Anderes: Ein Puzzlestein meiner Liebe zum Handwerk, zur Farbe und zur Gestaltung.
Heute starren die Kinder in ihre Smartphones…
Und Stoob ist zu Tode renoviert, mit geleckten Häusern, einem kleinen Keramikgeschäft, in die Werkstatt dürfen nur mehr angemeldete Reisegruppen ab 15 Personen.
Manchmal frage ich mich, ob die Kinder schuld sind, wenn sie in ihre Handys glotzen oder – unter anderem – eine glatte Welt.
Wir fahren weiter, Richtung Neckenmarkt, denn dort am Rande des Burgenlandes, wartet Jaqueline von der Sailor Moon bei ihrer Mama auf ihr Baby. Auf dem Weg zu ihr, gleich hinter Stoob, packt mich der Zauber dann doch:
Kornblumen! Ein, zwei, drei Felder mit Kornblumen, ein blaues Meer, an dessen Horizont ein Reh in den Wogen der Ähren versinkt.
Ich erzähle Jaqueline und ihrer Mutter davon, letztere bemerkt erstaunt, dass sie selbst das gar nicht bemerkt, ja gar nicht bewusst schätzt. Ebenso wenig wie das Badezimmer mit warmen Wasser und einem WC. Lachend erzählt sie, wie Jaqueline sich über die Toilette gefreut hatte und es keiner zu Hause verstand.
Ja so ist das oft: Was wirklich zählt, wichtig oder gar wertvoll ist, wissen wir oft erst, wenn es weg ist!
Was ist für dich von Bedeutung? Was schätzt du? Was vermisst du?