„Tia“ – Tante, nennt mich Lucas, so wie wir als Kind früher die Freundinnen der Mutter Tante gerufen haben, auch wenn sie nicht zur Verwandtschaft gehörten. Lucas ist das Kind, mittlerweile ein junger Mann, das wir hier füttern, zumindest geistig, denn wir unterstützten ein wenig seine Schulbildung und sorgten dafür, dass er in einer sicheren Umgebung aufwächst.
„A Senhora“ oder „Donna Stefanie“ nannte mich Dalva, seine Mutter respektvoll, damals als sie meine Wohnstatt für mich sauber hielt. Mittlerweile sind wir längst bei „Stefanie“ angelangt, Steffi kann sie nicht aussprechen. Zwischen uns liegen Welten, in Hautfarbe, Kultur, Bildung, sozialen Status und Einkommen und dennoch gelingt es uns irgendwie, die Balance zwischen Geben und Nehmen zu halten und einander auf Augenhöhe zu begegnen. Aber vielleicht ist das auch nur die Illusion einer, mit der es das Leben gut meint.
Kennengelernt habe ich Dalva, als sie mit einem Putzkommando im Auftrag von Tomys Arbeitgeber unser Haus beim Bezug einer Grundreinigung unterzog. Sie sah alles, scheuchte ihre Kollegen herum, gab ihnen Anweisungen und war selbst am fleißigsten dabei. Spätestens als sie die Kollegen die Leiter hochklettern und die salzigen Wände abwaschen ließ, war mit klar: Die und keine andere sollte zweimal in der Woche bei uns für Sauberkeit sorgen.
Und sie räumte das Zimmer der pubertierenden Zwillinge auf – muss ich wirklich Details erwähnen? Sie putzte die Fenster, wischte den Staub, wusch das Geschirr, schrubbte die Bäder, vier an der Zahl, denn in Brasilien gehört zu jedem Schlafzimmer eines, bügelte die Wäsche, überzog die Betten, sprach mit mir Portugiesisch und als sie mittags damit fertig war, begann sie Plastiktüten fein säuberlich zu falten.
Zumindest beim ersten Mal, denn ich schickte sie nach getaner Arbeit nach Hause zu ihrem kleinen Sohn, ihrem ganzen Stolz, ihrer Hoffnung. Manchmal musste sie ihn mitbringen. Immer kam er adrett und sauber gekleidet, zog sich dann um, damit er im Garten spielen konnte, während sie seine Lunchbox mit frischen Früchten in den Kühlschrank stellte.
Lucas war – und ist – wiff, hatte immer gute Noten, war Klassenbester. Und Dalva war klug genug, kein zweites Kind zu bekommen, so gern sie ein kleines Mädchen gehabt hätte: Sie wusste genau, dass sie nur einem Kind eine halbwegs solide Bildung finanzieren konnte, während zwei Kinder sie für immer in Armut halten würden. Und sie hatte einen Mann an ihrer Seite, der liebevoll, umsichtig und stark für seine kleine Familie sorgte.
Und manchmal halfen wir mit. Sie sind unsere brasilianische Familie.
Mittlerweile hat sich Dalva zur Buchhalterin hochgearbeitet. Mehr als Salario minimo bekommt sie allerdings nicht dafür – sie hat ja keine Ausbildung! Und – typisch frau – sie will da nicht weg, die Kollegen sind so nett!!!
Letztes Wochenende luden wir sie alle ein, mit uns zwei Tage lang in der Bucht zu segeln. Weder Dalva noch Lucas waren je in Itaparica oder auf einer der Inseln gewesen. Wir motorten in die kleine Bucht im Süden der Ilha dos Frades. Die Schoner Boote legten gerade Richtung Itaparica ab, der schöne Strand blieb uns allein überlassen. Leider war uns schnell klar, warum: Die Strandbars dort sind unverhältnismäßig teuer. Also tranken wir nur ein Bier, Dalva, Cássia, Lucas Freundin und ich stapften die Treppe zu der kleinen, weiß-blau gestrichenen Kirche hinauf. Dalva war entzückt: Diese Aussicht! Das türkisfarbene Meer, die grünen Bäume davor, im Hintergrund die Stadt – ja, es ist schön hier! Mich faszinierten allerdings die Geier am meisten, die fast zum Greifen nah über die Klippe und unsere Köpfe segelten. Wunderschöne Vögel sind das!
Lucas tauchte im Meer, Tomy bewachte unsere Klamotten und Joselito handelte den Preis für das Bier herunter, danach fuhren und schwammen wir zurück zum Schiff. Zwar hätte es noch einige einsame Strände zu erkunden gegeben, doch wir hatten Hunger. Dalva hatte köstliche Kibe, Feijao tropeiro und Molho de pimenta mitgebracht – arabisch-brasilianische Hackbällchen, Bohnen und scharfe Soße. Einfach köstlich!
Da der Ankerplatz zu ungeschützt für die Nacht ist, segelten wir danach nach Itaparica, wo wir mit Tom von der Cariad und Kathie und Franco von der Caramor Pizza essen gingen. Kathie verfeinerte ihr Portugiesisch mit Joselitos Hilfe. Am nächsten Tag drehten Lucas und Cassia noch eine Runde mit dem Dinghi durch den Ankerplatz, dann ging es zurück nach Salvador.
Foi um passeo bom, mutio bom! War ein schöner Ausflug!
Kaum sind sie weg, sitze ich fassungslos am Niedergang: Niemals, nicht mal unter Androhung von Gewalt wäre ich fähig die Decken so makellos faltenfrei auf die Sitzpolster zu legen! Wie macht Dalva das? Sie muss magische Hände haben!