Segeln mit Yemanja

Grizzabella und die unbefleckte Empfängnis

Stadtgeburtstag

Wir haben uns nicht an meinen eigenen Rat gehalten. Nämlich nicht ins Viertel hinter der Kirche Conceição da Praia zu gehen. Aber die Graffitis lockten.

Ihr müsst wissen, ich liebe Graffiti und Straßenkunst. Das ist einer der Gründe, warum ich Salvador so mag: Es ist voll davon! Mit Graffiti meine ich nicht diese Schmierereien auf schönen Häusern, oder in heruntergekommen Gegenden, voller Parolen und schwarzer Farbe. Das Graffiti das ich liebe, verschönert verkommene Ecken, ist bunt, fröhlich, phantastisch, manchmal kritisch und aggressiv. Und dieses Viertel gegenüber der feinen Marina, oft als Favela und als No-Go bezeichnet, ist voll davon.

Unten an der Straße fängt es an – ein Bild, um es fotografieren zu können, muss ich näher dran. Dahinter tun sich neue Welten auf. Noch an die nächste Ecke. Wow! Kaum ein Haus in der Straße ist nicht bemalt oder mit Mosaiken verziert! Wir gehen weiter, nur noch bis dahin, nein bis zum nächsten…

Um die Ecke, aus einem besonders hübsch verzierten Laden, in dessen Vorgarten aus alten Kloschüsseln ein Buddha sitzt, winkt uns eine junge, fesche Frau mit offenen Lächeln zu. Ob sie uns das Kulturzentrum zeigen soll?

Com certeza!

In den Räumen haben die Künstler ihre bescheidenen Ateliers, Trommeln stehen herum, hier wird getanzt, gelacht, musiziert und gemalt. Das Centro Cultural que laderia e essa hat sogar eine Facebook-Seite und eine Homepage! Dies ist offensichtlich ein lebendiges Viertel, in dem die Menschen es dank einer knappen Handvoll Begeisternder geschafft haben, Erstaunliches auf die Beine zu stellen, Kontakte zu Künstlern in aller Welt zu schaffen. Ist das eine typische Favela, so wie wir uns das vorstellen, in der Drogen und Hoffnungslosigkeit regieren? Mir erscheint es eher ein Künstlerviertel zu sein, voller Querdenker und Träumer – was sie nicht reicher an weltlichen Gütern macht. Aber vielleicht erfüllter.

Grisbela, sie heißt wirklich fast so, wie die Katze mit den sieben Leben aus Cats, bietet uns an, uns die Straße hinauf zu begleiten. Fremde, sagt sie, werden misstrauisch beäugt und ich solle die Kamera vorsichtig einsetzen und keine Begehrlichkeiten wecken. Ihr Mann Marcelo Teles ist Maler und Anstreicher und als solcher streicht er den Grund für die Wandbilder. Stolz zeigt sie uns die Werke ihres fünfzehnjährigen Sohnes.

Nachwuchskünstler

Und so steigen wir höher und höher in ein Viertel, in das sich wohl kein vernünftiger Brasilianer wagt, bewundern den Witz und die Ironie der Künstler, die jeden (Scheiß)haufen zur Zierde werden lässt, die Liebe zu ihrer Stadt. Ja, wir gehen sogar die Straße mit den Bögen, in denen Steinmetze ihrem Handwerk nachgehen, wieder hinunter. Fotografierend. Unbehelligt.

Scheißhaufen – das Haus damit ist mittlerweile eingestürzt

Die Straße der Steinmetze

Und die unbefleckte Empfängnis?

Sie hat nach meinem Verständnis etwas mit Unschuld zu tun, aber nicht im sexuellen Sinn: Sicherheit liegt in dieser Unschuld, im Wissen dessen, was mich antreibt, was in mir ist, wer ich bin. Die liegt in der Erkenntnis und Vergebung meiner Gewaltbereitschaft, meiner Gier, meiner Aggressivität, meiner Bereitschaft, zu betrügen, und sei es ums Geld für den Parkautomat. Oder in der Erkenntnis dessen, wo ich mich selbst betrüge, mir etwas vormache, ja mir selbst, meinem ureigenen Wesen, Gewalt antue. Sie liegt in meiner Fähigkeit nicht zu beurteilen, sondern zu lieben was ist. Das kannst du als naiv, lächerlich, dumm, Psycho-Quatsch oder esoterisch oder sonst was abtun. Du kannst dich diesen Gedanken aber auch öffnen. Jemanden anderen, den Umständen, der Regierung, der Gesellschaft, den Eltern oder wem auch immer, die Schuld zu geben, ist jedenfalls einfacher. Und auf die Dauer leidvoller. Das schreibe ich aus Erfahrung.

Ich übe mich im Nicht-Urteilen, bin keineswegs perfekt darin, aber zumindest voller Vertrauen ins Leben, darin, dass alles einen Sinn hat. So kann ich mich öffnen und Grisbelas Einladung in ihr Viertel folgen. So finde ich wieder Wunderbares, ohne zu suchen – Serendipity.

Ja, so ist das mit dem Urteilen: Die Kirche Conceição da Praia sieht von außen wie eine Ruine aus, ich frage mich, ob wir da überhaupt reingehen können, ohne ein Trumm auf den Kopf zu bekommen. Doch sie ist offen: Hinter den schweren Türen verbirgt sich eine der schönsten und besterhaltensten Kirchen Salvadors!

Und noch mal Unbefleckte Empfängnis!

Obrigado, Crisbela!

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