Langsam schwimmen Regentropfen an unserem Fenster vorbei. Schon gestern Abend tobte um uns herum das Wetterleuchten, in der Nacht auch der eine oder andere Donner. „Gott furzt.“, sagt Niklas der Sohn meiner Freundin, und macht ganz anschaulich das Geräusch des Donners mit nachfolgender blitzender Erleichterung nach.
Still ist es hier morgens früh vor dem Steg in Maragojipe. Der Bem-te-vi holt mich mit seinem Ruf aus meinen Träumen, sanft plätschert das Wasser gegen das Schiff. Hie und da brummt in der Ferne der Motor eines Fischerbootes, neben uns unterhält sich die Fischersfrau auf dem Einbaum mit ihrem Mann, während sie die Reusen hochholt. Ich fotografiere sie und frage mich, was ich damit bezwecke:
Will ich eine vermeintliche Idylle, eine für uns längst vergangene Zeit festhalten? Will ich zeigen, wie Menschen immer noch leben, von ihrer Hände Arbeit, mit den einfachsten Mitteln? Erhebe ich mich über sie? Führe ich sie vor, wenn ich das Foto zeige? Sind es quasi meine Affen im Zoo?
Jedenfalls schwimmt da neben uns ein anderes Universum vorbei, zwei Welten, die sich gegenseitig in unverhohlener Neugier anstarren.
Manchmal sind wir die Affen im Zoo, manchmal werden wir fotografiert und zu Hause herumgereicht.
Was ist das für ein Gefühl? Mich lässt es gleich-gültig, doch kann ich mir vorstellen, dass nicht jeder das so gleichmütig sieht, der eine oder andere sich vorgeführt oder erniedrigt fühlt.
Also Ich rede mir ein, es geht mir darum, die wunderbare Vielfalt und Schönheit dieser Welt festzuhalten um sie zu teilen, in der Hoffnung, dass meine Leser sich öffnen und die Welt und ihr Leben mit anderen, mit liebevollen, nicht wertenden, dafür verbindenden Augen betrachten.
Mag eine Illusion sein, eine von vielen, die ich über das Leben habe!
Nicht werten: Das fällt schwer bei der Einfahrt in den Rio Paraguaçu, wo die Werft von Petrobras liegt, die den Nachthimmel zum Tag macht, wo alte Ölplattformen aufgearbeitet oder verschrottet werden. Nein, es ist kein schöner Anblick. Doch wenn ich Diesel in meinem Dank haben will, kann ich es nicht verurteilen, ohne mich schuldig zu fühlen und das ändert nichts, ich fühle mich nur schlecht.
Ändert es etwas, wenn ich dankbar für diese Technologie bin, die mir unter anderem diese Reise erst ermöglichte? Das Werk wird deshalb auch nicht schöner, doch ich fühle mich besser und kann meine Kräfte zum Wohle aller einsetzen.
Gegenüber der Werft und weiter den Fluss entlang ist das Ufer von Mangroven gesäumt, dahinter liegen Reste des atlantischen Regenwaldes, vermischt mit Kokospalmen. Kleine Strände, der eine oder andere mit einem hübschen Häuschen dahinter sind darin verborgen. Das hügelige Ufer schillert in allen Grüntönen, von jungem Birkengrün bis dunkler Tanne. Fischer in Einbäumen oder Holzbooten gehen ihrem Handwerk nach, auch die traditionellen Saveiros mit ihren riesigen Segeln transportieren nach wie vor Waren den Fluss hinauf und hinunter.
Es ist wunderschön.
Viel haben wir noch nicht gesehen von Maragojipe, ein paar Einbäume im Fluss, ein weidendes Pferd auf dem Marktplatz, ein ertränkter Hund in einer Tüte zwischen den Mangroven. Eine Dorfkneipe, wo die Chipstüten und Kekspackungen von der Decke hängen, der Cachaça in verschiedenen Geschmacksrichtungen und Farben in Wasserflaschen am Regal steht, und die Wirtin voller Liebe, Stolz und Zärtlichkeit auf ihre halbwüchsige Tochter blickt – ein strahlendes Lächeln auf ihren Gesicht, das unsere Herzen wärmt.
Der Regen verzieht sich, die Sonne verwandelt die feuchte Luft in ein schwüles, drückendes Gelee. Das Schulschiff bringt die Schulkinder ans andere Ufer, wo sie wohl verborgen im Grün wohnen. Das würde ich gerne nochmal erkunden! Doch jetzt kommt Wind auf, Anker auf, weiter geht’s!