Gelee, Sülze oder Grütze – in diesen Zustand musst du dich auf einem Segelschiff, das im Atlantik schwimmt verwandeln, wenn du schlafen willst!
Vorausgesetzt du hast überhaupt Gelegenheit dazu…
Diesmal ist es nicht zu viel Wind, der uns den Schlaf raubt, sondern zu wenig.
Sonntagnachmittag möchte ich einen Bericht per Mail posten und eine Mail an unsere Kinder senden, per Pactor Modem und Funk. Doch ich bekomme auf keiner Frequenz eine Verbindung mit Sailmail, die Zeit läuft mir davon, bald wird es dunkel, dann ist zu keiner Station mehr eine Verbindung möglich: Funk ist abhängig von Wetter und Tageszeit. Ich bin traurig, weiss ich doch, dass sie auf ein Lebenzeichen von uns warten.
„Delfine“ ruft Tomy!
Eine Schule Streifen- oder Fleckendelphine surft die Wellen hinunter. Sie drehen sich unterm Schiff durch, schneiden mit der Finne durch das Wasser. Sie springen nicht so verspielt wie ihre Verwandten vor Portugal, doch sie sind wunderschön: Die Seiten sind stromlinienförmig mit Punkten übersäht, ihr Schnabel hat eine weiße Spitze. Delfine werden es nie versäumen, mich zu trösten und zu ermutigen.
Ein letztes Mal für diesen Tag klicke ich auf den grünen Verbindungpunkt – und siehe da, die Emails gehen raus.
Wieder halte ich die erste Nachtwache. Heute sind meine Gedanken in Salvador, in Rio Vermelho bei Yemanja. Heute Abend treffen sich die Freunde bei Mollie und Nelson, um gemeinsam die Gaben an Yemanja zu ihrem Schrein zu tragen, denn morgen, an Maria Lichtmess, ist ihr Festtag. Mollie hat wie immer einen Strauß Tuberosen in meinem Namen in den Korb gelegt, diesmal noch ein Bündel Rosen mit dazu. Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie die Prozession den Hügel herabsteigt, die breite Straße quert und jetzt durch ein Spalier von Blumenverkäufern geht…
Der Wind kommt aus Nordosten und doch trägt er den Duft der Tuberrosen vom Südwesten mit sich und in meine Nase!
Wie gerne wäre ich jetzt in Salvador!
Stattdessen quälen wir uns hier mit „moderatem“ Wind herum. Es weht gerade genug, um uns mit 3 Knoten voranzubringen…
Ich muss mich mal erkundigen, welcher Orixa für den Wind zuständig ist und ihm ein paar Gaben bringen!
Auch der Montag ist nicht viel besser, wenig Wind, bewölkt, wirklich warm ist es nicht. Abends dann sitze ich im Cockpit – nein nicht barfuß, mit Neoprenhandschuhen! Und meine kühnste Vorstellungskraft reicht nicht aus, mir glauben zu machen, dass es möglich ist, nachts im Cockpit nicht im Antarktisexpeditionsanzug zu sitzen.
Tomy kriecht verschlafen aus der Koje: „Brauchst du Hilfe?“
Das Segel schlägt, es ist kaum Wind.
Wir holen das Großsegel ein und werfen den Motor an – wir brauchen sowohl Rigg als auch Segel noch länger. Irgendwann werden doch die angekündigten 20 bis 25 Knoten Wind kommen…
Yemanja braucht mindestens 13 Knoten Wind um halbwegs stabil zu laufen und in den Wellen nicht zu schlagen. Unter 10 Knoten könnten wir den Blister versuchen, nicht in der Nacht, doch der Wind bewegt sich in der Todeszone: 5 bis 13 Knoten Wind, drehend, da steht kein Segel, nicht vorm Wind und bei Welle, damit kann Sissi, die Pacific Plus, nicht arbeiten.
Franz, der Autopilot ziert sich auch, Tomy und ich wechseln einander stündlich ab: Einer schläft am Cockpitboden, der andere steuert bis der Arm lahm wird, dann wechseln wir.
Morgens frischt der Wind leicht auf, wir setzen Segel, übergeben an Sissi und schlafen beide zwei Stunden im Cockpit. Nach dem Frühstück – frische Mango mit Haferflocken – gehe ich in die Koje, verankere mich in einer sicheren Position, entspanne und werde weich, ganz weich…
Ich bin Wackelpeter, lasse meinen Körpers von den Bewegungen des Schiffes hin und her schieben, während ich sanft entschlummere.
Derweil „rasen“ wir mit über vier Knoten und bis zu 18 Knoten Wind unserem Ziel entgegen.
Eine Stunde lang.
Jetzt ist der Wind wieder in der Todeszone. Immerhin scheint heute die Sonne, ich kann meine Jacke ausziehen.
Mal sehen, ob wir es bis Sonntag nach Mindelo schaffen…
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