Segeln mit Yemanja

Macht nix kaputt!

Das legten uns Manni, Silvi und Miri von der Lady S ans Herz, als wir in La Gomera die Leinen los machten. Dummerweise haben wir uns nicht daran gehalten!

Um ein Uhr legten wir ab, setzten vorm Hafen Segel, Groß und Genua. Der Wind fuhr erst mal Achterbahn: Langsam quälte er sich mit zwei Knoten hinauf auf die Spitze, um dann mit 20 Knoten hinunter in den Loop zu sausen. Das allerdings in der Horizontale, nicht wie eine echte Achterbahn in der Vertikale. Wenn er kam, kam er aus allen Richtungen. Wenigstens war keine Welle, so konnten wir den Blick auf den Teide genießen und uns etwas an das Geschaukle gewöhnen. Dachten wir.

Relaxed sailing. El Teide, Spsin’s highest mountain in the behhind

Um sechs gab es Abendessen, Gemüse mit Couscous. Warum ich den ersten Tag auf See esse, weiß ich nicht so genau, es bleibt ja eh nicht drinnen…

Wind war keiner, es wurde dunkel, ich zog mir schon mal mein schweres Ölzeug für die Nacht an, mit dicker Unterwäsche.

Wind war immer noch keiner.

„Ich glaube, wir sind in dem windlosen Band, das sich auf unseren Weg schmal nach unten zieht.“
„Ich glaub‘ auch. Wir rollen die Genua ein und fahren mit Motor raus.“

Kaum war die Genua eingerollt, der Motor an, legte der Wind von jetzt auf gleich los: Erst zwei Knoten, dann zwanzig – und das praktisch aus der Richtung in die wir wollten!

„War das angesagt?“
„Die Stärke schon, die Richtung nicht! Komm, lass uns reffen!“

Und dabei machten wir einen Fehler.

Den wir allerdings lange nicht bemerkten.

Mittlerweile war es dunkel, es ist ja auch hier Winter. So konnten wir nicht erkennen, ob die rote oder die blaue Leine für das erste Reff zuständig war und Tomy nahm die falsche, das korrigierten wir allerdings bald. Außerdem wollte er es besonders gut machen und band das Segel mit Reffbändseln fest, etwas, das wir bisher noch nie gemacht hatten. Und wie Tomy so ist, band er sie richtig fest.

Nach fest kommt kaputt, sagt er immer…

Der Wind blies um die 20 Knoten, genauso, wie Yemanja es gerne mag. Die Windsteueranlage tat ihren Dienst, nur den Kurs konnten wir nicht halten, denn der Wind kam aus Südwest. Wir fuhren also fröhlich Richtung Westafrika. Oder zurück, je nachdem. Na, irgendwann würde der Wind schon drehen, schließlich kommt er hier so gut wie immer aus Nordost bis Ost.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich Tomy, der zwar in der Koje lag, aber nicht schlafen konnte, weckte, weil Sissi, die Windsteueranlage, aus dem Ruder lief und ich sie nicht eingestellt bekam. Und von da an verschwimmt in meinem Kopf alles, ich habe keine genaue Erinnerung mehr.

Tomy steuerte von Hand, irgendwie wollte Sissi nicht. Der Wind drehte, so fuhr Tomy eine oder zwei Patenthalsen. Sicher, die tun dem Rigg nicht gut, allerdings war das Segel dabei recht dicht geholt, weil wir ja eigentlich immer noch gegen an segelten. Doch das Seltsame war, dass wir danach nicht wieder wenden konnten. Yemanja drehte einfach nicht durch den Wind, wir fuhren mit Motor herum.

Das hätte uns zu denken geben können, tat es aber nicht. Wir hatten ja auch Sissi noch im Wasser, und nehmen immer noch an, dass es daran lag. Was ja vielleicht auch stimmt.

Irgendwann, als der Wind endlich aus der richtigen Richtung kam, wollte Tomy umdrehen.
Ich zeigte ihm einen Vogel – gegen 25 Knoten Wind zurück?
Also weiter.

Ich glaube, zu dem Zeitpunkt, war mein Abendessen schon bei den Fischen.

So gegen vier Uhr früh bemerkte Tomy bei seinem Rundumblick, dass die Lazy Jacks, die Führung der Segel zum einfacheren Bergen der Segel, auf der Steuerbordseite gerissen waren. Und da sah er auch das Loch: Das Großsegel war an einem Reffauge eingerissen, nicht dramatisch, wie ich glaube, aber kaputt ist es doch. Wären die Lazy Jacks  nicht gerissen, hätten wir es erst bei Tag entdeckt – zu spät, um umzukehren.

Mittlerweile waren wir südlich von El Hierro. An der Stelle trieben wir uns etwa vier Stunden herum, versuchten zurück zu kommen. Hätten wir das windlose Band erreicht, das laut Wetterbericht immer noch südlich von Teneriffa lag, hätten wir es vielleicht auch geschafft. Doch es war nicht möglich in absehbarer Zeit dahin zu kommen.

Also auf nach El Hierro, nach La Restinga am Südkap, dem einzigen Hafen mit Steganlagen, allerdings ohne Segelmacher. Notfalls müssten wir dann eben mit der Fähre unser Segel zum Segelmacher bringen, aber zumindest wären wir dort in Sicherheit.

Allerdings lag vor El Hierro ein Starkwindband von 30 bis 35 Knoten. Dazu kommt die Düsenwirkung an den Inseln. Fünf Meilen vor El Hierro hatten wir dann Böen bis 47 Knoten, Windstärke 9, mit entsprechender Welle von der Seite. Wir liefen mit Motor und kaputtem, minimiertem Großsegel dagegen an, handsteuernd, mit den Bedingungen war Franz, der Autopilot überfordert, Sissi versuchten wir, warum auch immer, gar nicht. Wir wechselten uns alle 20 Minuten mit dem Steuerradfesthalten ab, einfach weil das Sitzen unbequem wurde.

Tatsächlich klappte das ganz gut: Ich hing mit dem Gurt an Steuerbord fest, benutzte ihn quasi als Trapez, damit konnte ich halbwegs bequem an Backbord sitzen und mit der rechten Hand das Steuer unten festhalten. Das kostete kaum Kraft, ich döste sogar vor mich hin. Gelegentlich erschreckte mich eine Salzwasserdusche, doch dick im Ölzeug war mir das egal. Nur einmal lief mir eine den Rücken hinunter – ich hatte gerade aufgesehen. War aber nicht schlimm.

Derweil tanzte Yemanja schön brav die Wellen rauf und runter, gelegentlich knallte sie auch hart auf, oder geriet in gute Schräglage. Nie fühlte ich mich unsicher, nur müde und erschöpft. Tomy hat es schlimmer getroffen, er war wohl mehr in Sorge ums Schiff. Oder stärker seekrank, er kotze erst jetzt. Vielleicht auch desillusioniert. Vielleicht hat er nie geglaubt, dass uns das passieren würde.

Ich schon.

Und ich weiß, dass Ent-Täuschung das Leben langfristig schöner macht. Und sicherer.

Das Beste an allem war, dass ich nicht fror! Manchmal kam ich mir vor, wie im Frühling in der Ramsau: Der Schnee schmilzt, alles tropft um mich herum, doch ich liege dick eingepackt in der warmen Frühlingsonne…

Um ein Uhr Mittag lagen wir sicher in La Restinga und fühlten uns etwas gestrandet: Die Häuseransammlung sahen verlassen aus, im Hafen lagen vielleicht 10 Segler, nur zwei davon Fahrtensegler, Franzosen. Die einzige und öffentliche Toilette ist in einem windschiefen Hütterl, dessen Tür nicht schließt. Der Marineiro sieht so finster drein, als wollte er uns gleich fressen. Ich traute mir gar nicht, ihm die Leinen anzugeben. Unser Bett war nass, irgendwie hat das überkommende Wasser den Weg da hinein gefunden, ebenso in vier Schapps. Einige Bücher sind feucht, ein paar CD’s lösen sich im Salzwasser auf. Beim Prüfen, ob das Wasser in den Stauraum unter dem Bett geflossen ist, stellten wir fest, warum es in unserem Schlafgemach so seltsam roch: Ein paar Bierdosen waren ausgelaufen, Wasserflaschen und Dosen lagen in einer schmierigen, bräunlichen und ekelhaften Soße…

Nicht unser Tag!

Heute scheint die Sonne, der Wind brüllt nicht mehr, auch wenn er noch nicht leise ist. Unsere Wunden sind geleckt, wir haben 12 Stunden gut geschlafen. Der Marineiro schaut immer noch grimmig, ist jedoch sehr nett. Der Ort ist immer noch extrem beschaulich, eine Hotelanlage, ein kleiner, aber feiner Supermarkt, zwei Kneipen, eine schöne Strand- und Hafenanlage. Und vor allem: Frisches, warmes Baguette! Das mit leckerem Olivenöl und Salz, eine Tasse Tee und meine Welt ist wieder in Ordnung. Termin mit dem Segelmacher steht, auch wenn wir immer noch nach Gran Canaria dafür müssen: Am Donnerstag lässt der Wind nach, dann kommen wir gut gegen an. Wir können dann immer noch ausweichen nach Teneriffa oder so.

Bleibt die Frage, was tun, wenn das Segel so am halben Weg über den Atlantik reißt, in Wind und Welle. Wir haben keine Antwort. Doch ich bin sicher, dass uns etwas einfallen würde.

Heute Abend machen wir Party. Das Bier in den rostigen Dosen muss weg.

 

Ach ja, und alle die es jetzt besser wissen sind eingeladen – es besser zu machen! Ich gönn es euch!

Die mobile Version verlassen