Wie eine Schlange windet sich die Straße hinauf zum höchsten Berg La Palmas, dem Roque de los Muchachos. 2426 m ist er hoch, am Rande der Caldera de Taburiente, mitten im Herzen der Insel gelegen. Bald verlassen wir urbanes Gebiet, der Wald wird dichter, die Serpentinen auch. Haarnadelkurve reiht sich an Haarnadelkurve, höher und höher hinauf Richtung Inselmitte. Bananen und Zitronenbäume werden selten, dafür werfen immer wieder Edelkastanien ihre stachelige Frucht auf die Erde. Mit jeder Kurve wird der Kiefernwald dichter, doch noch wachsen auch Baumheide und Lorbeerbäume, bis endlich nur mehr birkengrüne Kiefern die Straße säumen. Unglaublich, wie dicht gewachsen und grün sie sind. Herrliche, erhabene Bäume sind das! Wunderschön ist der Wald.
Sein größter Feind ist, gleich nach dem Menschen, das Feuer. Immer wieder stehen am Straßenrand rote Männlein im Wald, die ein etwaiges Feuer bekämpfen helfen: funkelnagelneue Hydranten!
Je höher wir uns schlängeln, umso lichter wird der Wald und umso dichter werden die Wolken: Auch heute ist nicht das ideale Wetter für eine Panoramatour, doch wird es das im November kaum geben.
Kurve um Kurve, Meter um Meter geht es hinauf, langsam lichtet sich auch der Nebel. Goldener Farn auf braunen Nadeln leuchtet jetzt zwischen den Bäumen, dann Ginster und schließlich, ganz plötzlich wächst nur mehr Ginster: Wir haben die Baumgrenze erreicht, die hier auf etwa 2000 m liegen muss.
Doch es geht noch höher hinauf, bis die Berge so steil, das Klima so unwirtlich wird, dass fast nur mehr der nackte Fels zu sehen ist. Und was für Fels! Noch immer scheint der Vulkan zu brodeln, zu gären und zu kochen, überzuquellen, hoch zu drücken und neu aufzuschichten. Mitten drin versteinert ist das alles, doch die ungeheuren Kräfte, die unsere Erde geformt haben, sind hier begreifbar, ja fühlbar.
Wie verrückt von uns Menschen ist es doch, zu glauben, wir hätten uns die Erde untertan gemacht! Ein Pups von Mutter Erde und wir sind wieder in der Steinzeit! Und da haben wir noch Glück gehabt!
Wir lassen das Auto an einem der Aussichtspunkte stehen und werfen einen Blick in den Abgrund der Caldera de Taburiente: Dieser eingestürzte Krater soll einer der höchsten der Welt sein, 1000 m geht es hinunter. Doch die Caldeira verbirgt ihre Angst einflößende Tiefe hinter weißen Tüchern. Ist vielleicht auch ganz gut so, denn so begeben wir uns ganz unbedarft und schwungvoll auf die Wanderung entlang des Kraters. Wer weiß, ob wir uns so sicher über das Geröll und die Steine hier bewegen würden, wenn wir auf den Grund sehen könnten!
Ein kalter, fast eisiger Wind weht hier oben, 11 Grad zeigt das Thermometer im Auto, gefühlt sind es nicht mehr als fünf. Doch kaum sind wir hinter der Kraterwand, geschützt vor dem Wind aus dem Norden, wärmen uns die von der Sonne aufgeheizten Steine. Kalter Wind und Strahlungswärme ergeben eine interessante Sensation auf der Haut, auf dem Körper!
Still ist es hier oben, nur der Wind pfeift, einzelne Krähen lassen sich vom Wind tragen, schreien hie und da krächzend, eine Fliege surrt auf der warmen Seite um mich.
Immer wieder gibt der Nebel im Kessel den Blick frei auf schroffe Spitzen, Basaltwände, in bunten Lagen aufgeschichtetes Gestein – darüber thront im Hintergrund der Teide, der höchste Berg der Kanaren auf Teneriffa. Und manchmal erhaschen wir auch einen kurzen Eindruck vom Abgrund! Mich fasziniert das Gestein mehr, die Formen, die Oberflächen, das Aussehen, die Dichte, die Schichten, die Farben, die Vielfalt. Glatt, rauh, schwer, leicht, grau, rosa, ocker, orange, schwarz – spiegeln die Farben der Häuser die natürlichen Farben der Insel? Die der Vulkane, der Wälder, der See und des Sonnenunterganges?
Den letzten extraterrestrischen Eindruck hinterlässt in dieser surrealen Landschaft der Blick in die Sterne, oder genauer: die Sternwarten. Nirgendwo sonst in Europa ist der Blick ins All so ungetrübt wie hier, so unterhält die Europäische Union hier ein astronomisches Forschungszentrum.
Zurück nehmen wir den langen Weg außen im Norden der Insel entlang, 61 km zeigt ein Wegweiser nach Santa Cruz, Luftlinie sind es höchstens 25km! Doch wieder windet sich die Straße geradezu grotesk den Hang hinunter, aud dem Navi sieht die Straße aus wie eine meiner Freihand-Quiltnähte. In Los Sauces führt sie über die höchste Einbogenbrücke Europas – wenn frau die Kanaren zu Europa zählen will. Am besten zu sehen ist sie von See aus.
Wir machen noch einen Abstecher durch Bananenplantagen hinunter nach San Andres, dem angeblich hübschesten Örtchen der Insel. Beschaulich ist es, ruhig und ja, sehr hübsch. Die Tapas im Restaurant neben der Kirche schmecken auch lecker. Kochen können die Spanier, das muss frau ihnen lassen, da kommen die Portugiesen nicht mit!
La Isla Bonita, die schöne Insel, heißt La Palma auf Spanisch – uns hat sie an diesem großen Hexensabbat, Samhain oder Halloween, jedenfalls ordentlich den Kopf verdreht. Wir sind bezaubert!
Krah!