Nach einem Monat auf Madeira wird es Zeit Abschied zu nehmen von dieser bezaubernden Insel, von guten Freunden und den Mitarbeitern der Marina Quinta do Lorde: Danke, schön, wir haben uns hier rundherum wohl gefühlt!
Ein strahlend blauer Himmel lässt Tomy erahnen, welches Panorama sich unter den Wolken am Pico Ruivo verbarg – vom Meer aus gesehen ist der Blick heute frei auf die Berge. Langsam versinkt der wilde östliche Zipfel Madeiras im Meer. Ebenso langsam aber sicher trübt sich der Himmel. Bald liegt eine bleierne, graue Schwere über uns. Die Zeit scheint still zu stehen, sie will nicht vergehen, sie ist träge und wir mit ihr. Das Meer ist ruhig, der Wind gerade genug, um ein wenig zu segeln. Doch die Schwere will nicht gehen.
Liegt es am Wetter? Daran, dass wir so lange nicht auf See waren? An der Jahreszeit? Im südlichen Herbst haben wir um drei Uhr nachmittags das Gefühl, es sei sieben am Abend: In Wahrheit überwiegt um sieben schon die Dunkelheit. Im Westen erhebt sich das sagenumwobene Atlantis aus der dunklen See: Ein schmaler Streifen oranger Sonnenstrahlen zwischen Schichten von dunklen Wolken erweckt den Anschein einer großen, hell erleuchteten Insel.
Die Nacht verläuft unspektakulär im gewohnter Manier: Ich wache von acht bis eins, dann ist Tomy dran. Er lässt mich bis sieben Uhr schlafen! Ein Stündchen will er sich noch vor dem Frühstück hinlegen, doch der Wind verlangt Handlung: Im Logbuch steht welche, ich weiß es nicht mehr! Zu oft haben wir in den vergangenen Stunden in der Hoffnung auf Wind die Segel gesetzt, eingeholt, festgezurrt, als Unterstützung für den Motor eingesetzt!
Sonnendurchflutete Wolken, schneeweiße Schäfchen vor verhangenen Himmel, sind es, die mir von diesem Morgen in Erinnerung bleiben.
Der zweite Tag auf See verläuft weniger träge, es mag die Sonne sein, die den Unterschied macht. Sie scheint fast den ganzen Tag, nur in der Ferne fallen einzelne Wolken nass bis auf den Horizont. Abends erwischt uns eine dieser Regenwolken peripher: Es fallen gerade genug winzige Tropfen um über uns einen bunten Baldachin aus irisierenden Farbbändern zu zaubern. Wir fahren unter ihm gegen Süden – ich weiß schon, warum er mit uns mitreist, und doch ist es wundervoll! So einen leuchtenden, vielschichtigen und vollständigen Regenbogen habe ich seit unserer Zeit in Salvador nicht mehr gesehen!
Nachts versinkt rechts von mir eine übergroße, sichelförmige Mondin fast liegend im Meer, während links Orion mit den drei charakteristischen Sternen, die seinen Gürtel formen, aus dem dunkle Wasser empor steigt. Auch zu Hause ist er im Winter sichtbar, dort steht er über den Bungalows neben unserem Haus.
Ich liege im Cockpit und starre hinauf auf die Windfahne. Sie dreht sich munter im Kreis, mal links herum, mal rechts herum. Der Motor schnurrt. Nur Franz, der Autopilot, ist vor La Palma verwirrt. Immer wieder piepst er verwirrt, weil er den Kurs nicht halten kann. Woran es liegt? Sind es die magnetischen Anomalien hier? Oder ist etwas kaputt?
Tagsüber bleibt der Wind mau, das Gute daran ist: Die See bleibt es auch. Selbst in der Düse vor La Palma, dort wo der Wind angeblich immer 10 bis 15 Knoten stärker weht, lässt er sich bitten, immerhin zu 15 Knoten. Eine halbe Stunde holen wir noch die Fock raus, dann sind wir da, etwas müde, hungrig, reif für eine Dusche und neugierig auf Santa Cruz de la Palma, dessen bunte Häuschen sich an die runden Hügel zwischen tiefen, grünen Schluchten schmiegen…