“Zu unserer Rechten fällt der Berg dunkelgrün in die Schlucht, tief unten liegen kleine Orte, dahinter ein tiefblaues Meer. In der Ferne liegt Porto Santo. Links des Weges erstreckt sich ein faszinierendes Panorama von schroffen Bergen, zerklüfteten Schluchten und Felswänden und bizarr geformten Felsspitzen.”
Ich beschreibe Tomy einen der schönsten Ausblicke dieser Erde in glühenden Farben. Sehen tun wir nichts: Dieses atemberaubende Stück Land liegt gut versteckt in einer dicken weißen Nebelhülle.
Wir stapfen trotzdem hinauf auf den Pico Ruivo – vielleicht ist er ja hoch genug, um einen Blick über die Wolken freizugeben. Viel Hoffnung haben wir nicht. An der Küste scheint zwar die Sonne, doch der Blick in die Berge verheißt nichts Gutes. Vorbei an Hortensienhecken, Agapanthusstauden, blühenden rosafarbenen Nerinen, an Bananen-Maracuja und Tibouchina fahren wir in den Nebelwald. Der heißt so, weil die feuchte Luft des Nordwindes als Wolken an Madeiras höchsten Gipfeln hängen bleibt. Es ist ein besonderer Wald, weil in der feuchten Luft der Wolken eine besondere Pflanzengemeinschaft gedeiht.
Kaum sind wir oben am Parkplatz, können wir die Straße hinunter nicht mehr erkennen, den Weg vor uns auch nur schwer. Der Nebel hängt feucht in unseren Haaren, er klammert sich an Felsen und Pflanzen. Doch wir wandern munter drauflos.
Wie gut dass wir gestern nicht hier waren! Meine müden Füße hätten mich nicht hinaufgetragen! Besser war das Wetter gestern sicher auch nicht, wird es auch morgen nicht sein, also weiter…
Plötzlich wärmt mich etwas – die Sonne lugt durch den Nebel.
Dann ist sie wieder weg.
Langsam aber sicher wird der Nebel dünner und trockener, ohne jemals ganz aufzureißen…
Hie und da zeigen sich im Abgrund die Gerippe toter Bäume.
“Wind, bitte blas den Nebel fort! Sonne, bitte löse den Nebel! Wasser (tropfen), bitte fließt den Berg hinunter! Erde,… keine Ahnung wie du da rein kommst, aber bitte sorge auch dafür, dass Tomy wenigstens einen Ahnung von der Schönheit dieser Berge bekommt!”
Und dann sind wir oben, am höchsten Berg Madeiras, dem Pico Ruivo, 1862m über den Meeresspiegel!
Der Wind pfeift, über uns ist ein Fleck blauer Himmel! Die Sonne wärmt und der kalte Wind treibt den Nebel über den Bergrücken, er fließt fast schon darüber – und der Pico Ruivo, die Erde, hält genug Wolken zurück, um den Blick frei zu machen ins benachbarte Tal!
Grandios!
Unten, in Santana, scheint die Sonne. Wir spazieren der Straße entlang zum Aufzug hinunter in die Fajã. Tomy ist nicht begeistert: Ein Santana-Häuschen gesehen, alle gesehen, Fajã kennt er jetzt auch, noch besser kann die Aussicht nicht werden…
Ich gehe alleine weiter, vorbei an schönen neuen Häusern, einigen alten und ein paar der berühmten Stroh gedeckten Häuschen: Sie bestehen eigentlich nur aus Dach, unten ein Raum für das Bett der Eltern, oben der für die Kinder. Gekocht wurde draußen, Bad gab es keines. Das Leben in Santana war hart! Für die bettelarmen Besitzer dieses Häuschens ist es das immer noch:
Die kleinen Felder werden auch heute noch größtenteils per Hand bestellt, für alles andere sind sie zu klein und zu schwer zugänglich, wie überall auf Maderia. Es ist erstaunlich wie grün, wie sehr von Feldern durchwachsen, die Ortschaften sind: Zuckerrohr, Mais, Bohnen, Kürbisse, Kohl und Wein gedeihen hier im Norden. Und überall blühen Nerinen.
Mir gefällt mein kleiner Spaziergang, ich freue mich aber auch, dass Tomy mich mit dem Auto am Mirandouro, dem Aussichtspunkt, abholt! Genug gegangen heute!
Wir fahren weiter nach Ponta da Cruz, einem winzigen Nest mit einer Zuckerrohrmühle und einem Meeresschwimmbecken. Schön ist der Ort nicht wirklich, doch Marcel und Joanna von der Chulugi hatten uns dort ein Restaurant empfohlen. Ich bestelle Cozido a la Portuguesa, Gekochtes auf portugiesische Art, und erwarte eine Art Eintopf. Doch nein, das Gekochte besteht aus Chouriço, Stückchen von Schweinohren und Füßen, teilweise geräuchert, Speck, Rindfleisch und Huhn und es ist köstlich! Ich spüre förmlich meinen Vater neben mir sitzen – wie hätte ihm das geschmeckt! Mir fehlt nur der Senf zum Glück! Aufessen kann ich die riesige Portion leider nicht.
Die Beerdigung in der Kirche ist zu Ende, der Leichenwagen abgefahren, ein paar schwarz gekleidete Gäste genießen lachend und scherzend einen Kaffee. Auf dem Kirchenplatz sammeln sich festlich gekleidete Menschen, ein paar Trauergäste sitzen abseits. Alles wartet auf die Braut…
Wir aber fahren voller Vorfreude zurück zum Schiff: Patrick und Leentje von der Silmaril hat der Wind einfach nicht auf die Kanaren blasen wollen, sie kommen doch nach Madeira! Ein Grund zum Feiern!