Segeln mit Yemanja

Peniche

Meer macht philosophisch. Oder es wirkt nur als Verstärker für meine eh schon ausgeprägte philosophische Ader. (Jetzt hab ich übrigens grad meine Nationalität verraten: “Eh…!”)

Auf der Fahrt nach Peniche ist es wieder nebelig, gleich und doch anders als nach Nazaré, viel grauer und feuchter. Wind ist auch keiner, unter Motor müssen wir höllisch aufpassen, um den Fischernetzen nicht zu nahe zu kommen. Im Hier und Jetzt fühle ich den Nebel, die winzigen kalten Tropfen auf meiner Haut. Was fühlt der Nebel? Wie fühle ich mich für den Nebel an? Wie für den Wind? Fühle ich überhaupt den Wind und den Nebel oder fühle ich eher mich selbst? Wo fange ich an, wo höre ich auf, woher weiß ich, was ich bin? Wo mein Bein ist? Meine Finger? Das kann ich doch nur in Relation zu dem, was ich spüre wahr nehmen. Also indem ich den Boden unter meinen Füßen, den Stoff an meinem Bauch, das Schiff unter meinem Po, den Wind auf meinem Gesicht spüre – oder? Ist Haut wirklich meine Außengrenze oder nur der Ausdruck für meine Wahrnehmung von mir als Körper?

Vor Peniche werden andere Fragen wichtiger:

Wo genau ist das Segelschiff, das uns das AIS-System anzeigt und dessen Weg wir kreuzen müssen? Wir sind eindeutig auf Kollisionskurs um nicht zu sagen schon so gut wie kollidiert. Da taucht plötzlich links von uns der weiße Schatten eines Katamarans im Nebelweiß auf – erschreckend nah, doch Platz genug um davor herzufahren, wenn wir den Gashebel nach unten legen.

Wie sollen wir bloß die Hafeneinfahrt finden, gut wir haben den Plotter, der uns auf der Karte anzeigt, wo wir sind. Aber reicht das? Und was ist mit den Fischerbooten? Die sind um einiges flotter unterwegs, als der Kat – da ist Sehen gleich Kollision. AIS haben die ja so gut wie nie!

Im Moment der Gedanken reißt der Nebel auf und vor uns liegt klar und deutlich die Küste, das Fort, die Einfahrt, jede Menge Fischerbojen und Boote.
Ich fühle mich irgendwie gesegnet!

Einfahrt in Peniche, im Hintergrund der Nebel

Platz ist am Gastanleger keiner, wir gehen ins Päckchen neben einen Franzosen. Es ist sehr unruhig, ständig fahren Ausflugsschiffe oder Fischer vorbei, Tomy will nicht lange bleiben. Doch ich kann ihn davon überzeugen, sowohl Óbidos als auch Peniche genauer zu erkunden.

Peniche war einst eine Insel, eine gut befestigte: Gegen Süden wird der Ort vom Fort geschützt. Es ist ziemlich groß und diente im faschistischen Salazár Regime als Gefängnis für die politischen – kommunistischen – Gefangenen. Vor 40 Jahren erst kamen sie frei. Der erst kürzlich beendete Faschismus und der Widerstand sind, zumindest in der Wahrnehmung des Stoffverkäufers in Porto, mit verantwortlich für die wirtschaftlichen Herausforderungen Portugals: Jeder der wirtschaftlich denkt, ist gleich ein Faschist. Sagt er.

Eingang ins Fort

Kapelle im Fort

Fort

Entlang der einstigen Landseite zieht sich eine Stadtmauer, gut erhalten oder renoviert, von kleinen Befestigungsanlagen unterbrochen, gesäumt von kleinen Parkanlagen. Diese Mauer versucht Peniche zusammenzuhalten, vielleicht einen harmonischen Ort daraus zu machen. Doch er wirkt zerteilt, ohne Kern, ohne Herz. Da ist der Hafen, die Fischerflotte, die Werft, das Industriegebiet, gegenüber das Fort, dahinter die bunten Häuschen und kleinen Plätze eines einstigen Dorfes, daneben das neuere Viertel. Verbindend wirkt am ehesten das Tun der Generation 50+, oder eher 60+: Die Männer am Hafen flicken die Fischernetze, die Frauen in der Escola das Rendas klöppeln feinste Spitze. Ich frage eine, ob ich fotografieren darf, und bin bass erstaunt: Sie klöppelt eine Meerjungfrau! Und genau die finde ich! Verrückt!

Ob die Meerjungfrauen hier auf den Wellen reiten? Peniche gilt als der beste Surfstrand Europas, nirgendwo gibt es bessere Wellen.

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