Póvoa de Varzim als schön zu bezeichnen, hieße, all die wahren, touristenüberfüllten Schönheiten dieser Welt zu beleidigen. Doch dieser Ort hat etwas. Hier wird gelebt, oft genug, so scheint es, mehr schlecht als recht.
Die Häuser entlang der Uferstraße von der Marina in den Ort, könnten einmal mehr so in Salvador stehen. Kein Wunder, stammt doch der erste Gouverneur Brasiliens, der Salvador zur Haupstadt machte, Tomé de Sousa, aus dieser Stadt, mit und nach ihm zogen viele von hier nach dort.
Eine der Nebenstraßen im Vorort, in dem die Marina liegt, ist mit Girlanden geschmückt. Das Festa do Mar steht bevor, auch einige Balkone sind liebevoll verziert. Viele Häuser sind gekachelt, über den Eingängen prangt ein Bild eines Schutzpatron oder einer Heiligen. Sie sind zwei- bis vierstöckig, unten ist oft ein recht schicker Laden oder eine Bar. Je mehr wir uns dem Zentrum nähern, umso größer, schöner, verzierter, aber keineswegs besser erhalten, sind die Häuser, umso moderner sind die Läden, obwohl kleine Tandler, Schuster, Friseure, Obstläden und Fleischer immer einen Platz finden. Alte Frauen verkaufen Fische vom Leiterwagen, Witwen scheinen immer noch schwarz zu tragen. Vor den unzähligen Konditoreien stehen die Leute oft Schlange – die für unseren Gaumen schon fast ekelhaft süßen kleinen Kuchen und Teilchen werden gerne gegessen!
Wieder ist die Uferpromende breit und großzügig, mit Brunnen, Bühnen und Monumenten, dahinter prangt prominent das Casino. Am Strand davor stehen blau-weißgestreifte Strandhütten, hunderte, denn der Strand ist lang – er reicht bis hinauf nach Viana do Castelo, hinunter bis Leixãos, doch touristisch genutzt wird er am meisten vor Póvoa de Varzim. Hier, vor den Hochhäusern in erster Reihe und den halbverfallenen Häusern in der zweiten oder dritten, wirkt die Stadt wie ein altes Seebad, das bessere Zeiten gesehen hat, auf die Zukunft hofft, während nichts geschieht und doch alle ihr Bestes geben. Hier ist Europa so, wie es in meiner Kindheit war.
Wir schlendern weiter durch die Gassen und Straßen, kaufen Salat und zwei große Becher voll winzig kleiner, aber sehr guter Oliven, alles für drei Euro. Das Kilo Fleischtomaten kostet im Angebot 39 Cent, die Bananen 79 Cent. Der Schuster, im schwarzen Ruderleiberl, tätoviert und muskelbepackt, mit langen lockigen Haar und Adlernase, erklärt mir, dass meine Schuhe die 10 Euro, die er für neue Sohlen bekommt nicht wert sind – es wäre billiger Kunststoff. Ich erkläre ihm, dass die Marke – Clarks – viel kostet, und ich dafür gerne 10 Euro ausgebe. Wie soll ich ihm begreiflich machen, dass allein schon sein Laden den Eintritt wert ist? Es herrscht ein unbeschreibliches Durcheinander von Schuhen, Leder, Sohlen, Lederpflegemitteln, Schnallen, Schaufensterpuppen, einer alten Nähmaschine, Garn, nicht auf seinem Arbeitsplatz, nein, davor quasi im Ladenlokal. Ein alter Lederstuhl, Fernseher, Sofa, Computer und dahinter das Altärchen, mit allem was ihm wichtig ist: Pokale, Bilder der Familie, der Vereinsschal, Kreuz, Che Guevarra und Gandhi.
In der Drogeria Lapa kaufen wir zwei Meter Gartenschlauch, um die Leinen vorm Durchscheuern – Schamfilen – zu schützen. Wieder ist es faszinierend, was es auf wenigen Quadratmetern alles zu kaufen gibt. Der Schlauch kostet tres cinquenta cinco, € 3,55, pro Meter, mit dieser Angabe werden wir vertrauensvoll zur Kasse geschickt. Ich hätte dort jeden Preis nennen können, oder nur ein Meter fuffzich – hätt’ keiner gemerkt.
Póvoa de Varzim schwebt zwischen Aufstieg und Niedergang, zwischen Schönheit und Verfall, Reichtum und Armut – es hat eine unvergleichliche, liebenswerte und charmante Atmosphäre. Mit dem Herzen gesehen ist es eindeutig eine schöne Stadt mit einzigartigem Flair.
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To call Póvoa de Varzim beautiful would be an affront to all the really beautiful and tourist filled places in this world. But there is something about this town. Maybe it is that people actually live here more or less.
The houses along the beachside could be in Salvador. No wonder, the first governor of Brazil, founder of Salvador as capital, Tomé de Sousa, came from this town as many other immigrants in Brazil.
One of the small streets parallel to the beach is decorated with garlands, balconies are decorated as well. There is a festivity coming up. Many houses are tiled, next to the entrances there are pictures of a saint or patron. They have about two to four stories, downstairs are bars or quite nice shops. The nearer we get to the town center, the larger, prettier and more decorated the houses become -but not necessarily better kept. There are modern shops, although small ones, fruit stores, butchers and hairdressers always find a place. Old women sell fish, widows still wear black. There are lines in front of the pastry shops – the Portuguese love their very sweet treats.
The beach promenade it wide and generous, there are fountains, stages and monuments. The casino has got a very prominent location. At the beach there are blue and white striped beach houses, hundreds, as the beach is long. It stretches from Viana do Castelo to Povoa de Varzim and goes on till Leixaos. But here it is used a lot. Here, with the high houses in first row and small decayed ones in the second the town appears like an old sea bath, which has seen better times, hopes for the future, while nothing happens and everybody is doing his best. It reminds me of the Europe of my childhood.
We walk through the little streets, buy salad and two cups of small, but excellent olives, all for three Euros. One kilo tomatos costs 39 Cents, bananas 79. The shoemaker tells me that my sandals are not worth the 10 Euros he would get for new soles. However they have been expensive due to the brand, plus I really like them. Also just visiting his shop is worth the money: It is a mess of shoes, leather, threat, polish, an old sewing machine, not behind, in front of the counter. There and old leather chair, a sofa, a TV, a Computer and there is also his wall of fame with family pictures, sport cups, sport shawls, some saints, Che Guevara and Gandhi. Luckily he also repairs my sandals well.
Póvoa de Varzim hovers between rise and downfall, between beauty and decay, abundance and poverty. It has an incomparable charming air. Seen with the heart it is a beautiful town.