Ich starre auf die schwarze Hand – Ist sie leer? Soll ich sie füllen? Ich sehe etwas glänzen, es könnte ein Ring sein. Oder Schweiß. Der Rhythmus der Trommeln zwingt förmlich zum Tanzen. Der Mann vor mir glänzt in seiner Schwärze in der dunklen Nacht. Schwarze Muskeln, nackter Oberkörper. Ohrgehänge und Bastrock. Weiß glänzen seine Augen, die mich selbstbewusst und stolz anblicken. Er bettelt nicht. Er fordert seinen Anteil.
Ich verstehe ihn nicht, ich will ihn nicht verstehen. Zu sehr fasziniert mich seine Authentizität.
Wir sind in Afrika. Oder im Karneval.
Irgendwie verwirrt mich der Typ und die anderen schwarzen, tanzenden Bastrockträger: Verkleiden sie sich als Eingeborene? Ist das ihre Tracht, ihr Dirndl? Würdigen sie so ihre Vorfahren, ihre Herkunft? Oder geht es nur um den Spaß?
Da passt etwas nicht in mein geordnetes Weltbild – und das ist gut so! Denn offensichtlich gibt es darin mehr Vorurteile als mir lieb sind! Und die dürfen gerne weichen!
Doch Mindelo überrascht mich noch mehr, es überrascht meine Sinne, die auf See doch eher darben.
Nein, es labt meine Sinne.
Wir lassen die Trommelgruppe weiterziehen und suchen ein Restaurant. Wir finden in der Dunkelheit dieses Sonntagabends nur eine Pizzeria. Und noch eine. Und noch eine. Die dritte nehmen wir, aus purer Verzweiflung: Wir haben Hunger.
Die Kellnerin fragt, in welcher Sprache wir die Karte wollen. „Portuguese!“ „Portuguese?“ Sie blickt uns ungläubig an, doch spricht sie von da an Portugiesisch mit uns – das war in Portugal unmöglich. In den Köpfen der sonst intelligenten Portugiesen existierten portugiesisch sprechende Ausländer nicht, sie antworteten immer auf Englisch. Oder Spanisch, was ich nun am wenigsten kann!
Ich esse gegrillten Fisch mit köstlichen Rosmarinkartoffeln, der Salat dazu haut mich um: Das Olivenöl darauf ist erstklassig!
Nachts ist die Stille so laut, dass ich davon kurz aufwache: Kein Wind heult, keine Welle schlägt, keine Fische knabbern am Schiffsrumpf, kein Hund bellt, kein Auto fährt!
Montagmorgen reisen wir offiziell auf den Kap Verden ein. Die Policia arbeitet entspannt, aber effizient und durchaus freundlich. Der junge Beamte der Policia Maritima hingegen ist sichtlich erfreut, dass wir portugiesisch sprechen. Wenn irgendetwas ist, wir sollen kommen, er hilft uns! Keine der beiden Institutionen interessiert sich für den Ausreisestempel der Kanaren, das Wort Visum wird nie erwähnt.
Überhaupt sind die Menschen sehr hilfsbereit: Kaum stolpere ich, hilft mir jemand auf, kaum fällt mir etwas runter, bückt sie einer neben mir, kaum sehen wir fragend um uns, bietet jemand Hilfe an. Dabei sind die Gesichter verschlossen, abweisend – so sehr uns die Züge und die Farbe der Menschen an Bahia erinnern, so fremd sind sie. Es fehlt das Lächeln, die Leichtigkeit des Seins, Allegria: Das Leben auf den Kap Verden ist hart. Vielleicht ist es auch die Stadt, die ihre Gesichter verschließt.
Am Straßenrand verkaufen die Frauen Bonbons einzeln aus großen Körben, manche bieten selbstgemachte, köstliche kleine Fisch- oder Käsepasteten an, Fingerfood von der Straße. Männer jeglichen Alters sitzen unter Bäumen im Schatten und verspielen leidenschaftlich das Leben: Kicker, Poker, Oril, ein afrikanisches Spiel. Straßenköterblonde Hunde, mit mehr oder weniger grau darin, alle gleich groß, alle gleich aussehend, dösen im Schatten, laufen mit eingezogenen Schwanz durch die Straßen. Mayan Terrier nennt meine Freundin diese „Rasse“, die alle Rassen beinhaltet und immer gleich unauffällig aussehende Hunde hervorbringt, in Guatemala genauso wie hier.
Vorbei an bunten Häusern und bunten Fischerbooten, schlendern wir zur Markthalle. Tief sauge ich den würzigen Duft der getrockneten Kräuter ein. Was wird meine Nase hier verwöhnt! Das Angebot an Obst und Gemüse ist groß, wenn auch nicht vielseitig: Zwiebeln, Karotten, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Maniok, Tapioka, etwas Kraut, ein paar Kürbisse, grüne Paprika, viele Tomaten, Papaya, Gurken, eine Handvoll Ananas, Bananen, wenige Äpfel und Birnen, dazu Koriander, Petersilie und Minze.
Etwas hinter der Markthalle liegt der Praça Estrella. Auch hier ist Markt, Obst und Gemüse, aber auch Kleidung wird hier feilgeboten. Tomy fotografiert wie wild.
Meine Mutter ruft an: „Lasst euch ja nicht einfallen, nach Afrika zu fahren!“
Amüsiert blicke ich um mich: Die Frauen hier sind pechschwarz, ihre langen Röcke bunt bedruckt. Eine Frau balanciert ein großes Bündel auf dem Kopf, die im roten, afrikanischen Kleid trägt ihre kleine Tochter attraktiv auf dem Rücken gebunden, Frauen, von exotischer Schönheit und zeitloser Würde, trotz oder wegen ihrer schmerzensreichen Geschichte.
„Mutti, ich BIN in Afrika!“
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